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Auch die Flames spielten gegen die Rockers.
20. Mai 2016 

Bensheimer Bleichrockers: Das Ende einer lebenden Legende

Nach 12 Jahren räumten die „Bleichrockers“ das Feld mit einem ultimativ letzten Spiel

BENSHEIM (pem), Sämtliche Trikots werden aneinander gereiht unter die Hallendecke gehisst zu den Klängen von „One Moment in Time“; ein bewegender und historischer Augenblick. Hier endet die Ära der „Bleichrockers“.

Die kultige Drittmannschaft des VfL Bensheim räumt unwiderruflich das Feld nach einem Dutzend von Jahren, in denen sie der stetig wachsenden Fangemeinde unzählige Spielminuten mit Basketball der etwas anderen Art beschert hatten. Aus dem jugendlichen Boltzplatz-Gezocke in „der Bleich“ formierte sich eine Equipe, die sich auf den unteren Ligarängen tummelte und dabei ihren speziellen Sportsgeist nie vergaß: Wir wollen doch nur spielen! Und das heißt: Wer das Spielen ernst nimmt, nimmt den Spielen den Ernst! Liegt nicht allzu oft im Sport die Betonung auf Gegnerschaft, Kampf und Konkurrenzeliminierung? Mit oft unglaublicher Verbissenheit werden Wettbewerbe ausgekämpft, als sei in Vergessenheit geraten, dass man diese Sportarten eigentlich „spielt“! Die Bleichrockers setzten Zeichen dagegen und erinnerten sich vielmehr daran, dass das Spiel auch auf der Bühne zu Hause ist.

Das Feld wurde Spielwiese für Humor, Showeffekt, schalkhafte Bewegungsgaudi, chaotisch clowneske Individualitäten, komödiantische Stegreifeinlagen, Matches so schräg und spontan wie in der Musik nur gute Jam-Sessions sind. Kein Bleichrocker hätte wohl je von seiner Mannschaft gesagt: „Wir sind die, die gewinnen wollen“. Im Gegenteil kultivierte man mit fleißigem Understatement lieber den Antihelden Status. Damit sicherte man sich den Platz im Herzen vieler Menschen in der Region, die ansonsten weder Sport- und erst recht nicht Baskettballbegeisterung umgetrieben hätte. Gern verfolgten die Fans die „hohe Kunst der tausend Arten, den Ball nicht in den Korb zu kriegen!“ Das überschäumende, ungestüme, energiegeladene Flair schlug in den Bann, eine Aura vom „Charme des Rockers“ umgab die Mannschaft. „Immer Rocker bleiben“ ist ihr Credo, ebenso wie die mahnende Grußbotschaft an die Fangemeinde. Und trotzdem hat alles seine Zeit, auch wenn das Herz wild bleibt, wird man reifer, beschreitet neue Lebenswege, gründet Familien und die Akzente der Existenz verlagern sich.

Vor diesem Hintergrund fiel die Entscheidung, sich mit einem spektakulären Spiel in gewohnter „Höchstform“ von allen getreuen Zuschauern zu verabschieden. Das sollte nicht geschehen, ohne den bedeutenden Anlass in den Dienst einer guten Sache zu stellen. „Wir wollen ein buntes Zeichen setzen“, betonte Harry Hegenbarth, der das Spiel zu weiten Teilen als Kommentator begleitete. „Welcome to Bensheim e.V.“ war der Nutznießer aller Einnahmen der Veranstaltung.

Der Verein engagiert sich mit vielen ehrenamtlichen Unterstützern in der Flüchtlingsintegration. Neben den Eintrittsgebühren floss Geld aus weiteren Quellen: ein spontanes Sponsoring „pro Korb ein Euro“ erhöhte den Betrag, die Versteigerung eines goldenen Basketballs mit Unterschriften der „Skyliners“ und eines Original-Trikots von Bayern München Spieler Sebastian Rode sowie Einzelspenden ergaben über 3.000 Euro. Die erste Vorsitzende Sabine Reinert freute sich darüber hinaus noch über das Geschenk des kleinen Tom, der ein Bild gemalt hatte mit dem Titel „Jedes Kind hat ein Recht auf Zuhause“. Für das Spiel selber hatten sich die Rockers ein abwechslungsreiches Konzept erdacht. Für jedes Viertel der Spielzeit waren andere Gäste angereist. Doch kein Anpfiff ohne den legendären Bleichrocker-Tanz.

Das erste Team vereinigte Facebook-Nutzer. Die Bleichrockers hatten auf diesem Weg eine Interessentenanfrage lanciert; die ihnen ein illustres buntes Völkchen ins Haus holte. Von der ersten Sekunde an brauchte das Publikum nicht von dem gewohnten Unterhaltungswert eines Bleichrockermatches zu vermissen. Da wird die Abwehr zum Pas de Deux, man sieht Spielzüge wie „Keine Freunde“ und „Curling“, munter werden alle Spieler durch gewechselt und da wird auch schon mal eines der ins Feld gebetenen Kids angehoben, um den Ball wirklich sicher zu platzieren. Fast sah es so aus, als würde man sich untreu. Der Stand 16:9 ließ bei den Bleichrockern die bange Frage aufkommen, ob man gar am Ende noch gewinnen wolle? Mit „Hellas Schierstein“ – gegen die die Bensheimer früher schon einmal gerne verloren hatten, war die Zeit für ein Länderspiel gekommen, dem zur Würdigung wie es sich gehört die griechische und deutsche Nationalhymne vorangestellt wurden. Ein Ouzo-Warm-up tat ein Übriges zur freundschaftlichen Begegnung. “Ein unglaubliches Tempo – man sieht es kaum!“ attestierten die Kommentatoren der Partie. Doch auch das 27:18 für die Heimmannschaft stimmte noch sorgenvoll. Wenn einer Männer klein kriegt, so sind es doch Frauen. Mit den „Flames“ trat nun internationale Sportweiblichkeit an. Vom Pyramidenbau über Huckepackattacken bis zum „tote Frau“ waren die Damen gleichfalls um Showeffekte nicht verlegen. So konnte auch der improvisierte Switch zum Handball nur noch mehr zur Belustigung beitragen.

Trotz höherer Punktzahl pro Tor, blieb das „Frollein-Wunder“ aus, kein Gäste- Ausgleich. Es schloss sich die vom Publikum am meisten ersehnte Runde an, die Prominenz lief auf: die Bürgermeister Rolf Richter aus Bensheim, Dr. Holger Habich aus Zwingenberg und Christian Schönung aus Lorsch, an der Seite von VfL Vorsitzenden Chris Roth, Landrat Christian Engelhardt und Pfarrer Thomas Catta. Bemerkenswert hier die kollegiale Manndeckung in Form von Ringelpietsabschirmung und mit einigen Spielzügen à la „Magistratssitzung“ gelang es endlich, die Rockers auf ihren angestammten Platz zu verweisen mit 52:53 in den knappen Rückstand. Das tosende Finale glich David gegen Goliath, denn die erste VfL Mannschaft legte sich ins Zeug – so vehement, dass es ein Korb nicht überlebte und man zunächst reduziert nach Regeln des Streetballs fortfuhr, dann jedoch die Entscheidung auf alternativem Feld herbeiführen wollte. Eine Brakedance-Competition wurde anberaumt, aus der die Bleichrocker siegreich hervor gingen, was dem weiter ausgebauten Rückstand wiederum abträglich war. Die letzten zwei Minuten gehörten schon der Zukunft. „Wir geben das Staffelholz weiter an die nächste Generation“ und damit waren alle Bleichrockers-Kids aufgefordert, nun ihr Bestes zu geben. 76:76 so kann man vom Platz gehen, so dürfen Legenden enden. Und zum allerletzen Dankeschön an die Fans mit ihnen gemeinsam die große Welle und aus vollen Herzen ein vielkehliges „OOOIIIHHH“.

Fotos: Stefan Oelsner
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