Bickenbach

Lebendiges Stöbern in der Vergangenheit (v.l.n.r.): Martin Nabert, Bürgermeister Markus Hennemann und Walter Scheele beim ersten Treffen in der „Kastanie“. Foto: pes
23. September 2019 

Bickenbacher Fußnoten sollen nicht sterben

Walter Scheele sammelt Anekdoten und Geschichten aus der Vergangenheit

BICKENBACH, September 2019 (tri), „Ich möchte verhindern, dass die schönen Geschichten von früher vergessen werden“, betont Walter Scheele. Der langjährige Redakteur, Buchautor und Heimatforscher möchte graben, wo er steht: in Bickenbach. Vor eineinhalb Jahren ist der heute 74-Jährige aus Pfungstadt in die 6000-Seelen-Gemeinde umgezogen. Und schon bald hat er unzählige Anekdoten und Anekdötchen aus dem Ort gehört, die es ihm angetan haben: Nette Stories mit verblasstem Lokalkolorit. Heimische Fußnoten, die nur wenige kennen. Und überlieferte Erzählungen, die vom Aussterben bedroht sind.

Scheele will das alles retten. Allerdings nicht im Alleingang („Das wäre aussichtslos“), sondern mit Hilfe der Bickenbacher Bürger, die etwas zu berichten haben. Dafür hat er einen offenen Treff ins Leben gerufen, der seit Anfang September jeden zweiten Mittwoch im Monat in der örtlichen „Kastanie“ stattfindet. Hier können sich Ohrenzeugen, lebende Archive und Heimatkenner austauschen und die verbalen Vermächtnisse der Vergangenheit in die Zukunft retten. Denn Walter Scheele plant sie aufzuschreiben und vielleicht in einer gebundenen Sammlung zu veröffentlichen. Kontakte zu Verlagen hat er bereits. Scheele ist Autor mehrerer Lokalkrimis („Der Tote auf dem Kühkopf“) und historischer Abhandlungen, von denen nicht alle unumstritten sind.

Seine Behauptung etwa, dass die Schriftstellerin Mary Shelley im Jahr 1814 auf Burg Frankenstein gewesen sei und dort zu ihrem Weltroman „Frankenstein – der moderne Prometheus“ inspiriert worden sei, hatte überregional für Aufsehen gesorgt. Und für Kritik. Der Geschichtsverein Eberstadt/Frankenstein hatte sich von Scheeles Ausführungen deutlich distanziert. Doch darum ging es bei diesem ersten „Jour fixe“ nicht, wie Scheele seine regelmäßigen Zusammenkünfte an jedem zweiten Mittwoch im Monat nennt.

„Ich wollte keinen weiteren Verein gründen, sondern lockere Treffen mit lebendigen Geschichten“, sagt er, der sich auch nicht als Heimatforscher sieht: „In diesem Bereich sind andere sehr erfolgreich tätig.“ Er will sich auf das Anekdotische konzentrieren. Die mündlichen Schilderungen von kuriosen, ungewöhnlichen oder seltsamen Begebenheiten, die weder einem literarischen Anspruch genügen noch historisch felsenfest bewiesen sind.

Denn was man sich über Generationen erzählt, bleibt von Fantasie und Ausschmückungen nicht unberührt. Für Scheele ist schwächelnde Authentizität kein Ausschlusskriterium. Ihm kommt es auf die Originalität der Geschichten an, die auch ein Stück der örtlichen Identität vermitteln, wie er betont. Fünf Bickenbacher kamen zum ersten Treffen. Eingeborene und Zugezogene, Urgesteine und Zurückgekehrte. Mit der Resonanz sei er durchaus zufrieden, so Walter Scheele in der urigen „Kastanie“, wo sich die Initiative zu einer regelmäßigen Institution entwickeln soll.

Bürgermeister Markus Hennemann hält die Idee für unterstützenswert. Derzeit sei die Gemeinde gerade dabei, das Archiv „auf Vordermann“ zu bringen. Mit Nicole Petendra, die auch das Bickenbacher Museum leitet, habe man dafür die richtige Personalie an Bord. Scheeles Aufruf ergänze das kommunale Gedächtnis auf eine legere, unwissenschaftlich gefärbte Weise sehr gut. Hier geht es um Alltagsgeschichten, die es nicht in die Heimatbücher schaffen. Das fanden auch die anderen Teilnehmer der ersten Runde. Darunter war mit Martin Nabert auch ein Bickenbacher eher jüngeren Semesters. „Ich höre hier viele Geschichten und Orte, die ich aus meiner Kindheit kenne.“ Darunter die „Gifthütte“: die damals von August Müller geführte Ratsschänke ist unter diesem Namen vielen Einheimischen ein fester Begriff.

„Das war mein Fernsehzimmer“, so eine Bickenbacherin, die dort in ihrer Kindheit öfters zu Gast war. Im Gasthaus Hirsch wurden Filme vorgeführt, während der Hof der Wirtschaft auch als Obstannahmestelle gedient haben soll. Das Jagdschloss war ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine Zigarrenfabrik, die von der Mannheimer Firma Thorbecke bis 1936 weiter geführt wurde.

Für den Pfeifenraucher Walter Scheele sind die Erinnerungen der Menschen der Fundus, in dem er seine Geschichten verortet sieht. Klatsch und Tratsch aus dem Dorf, kantige Typen und lokale Originale, an die man sich erinnert. Mit einem Kopfschütteln oder einem Lächeln im Gesicht. Aber immer mit dieser klassischen „Weißt Du noch?“-Freude im Herzen. Wie es dramaturgisch weitergehen soll, will Scheele im Laufe der nächsten Treffen erörtern. Auch an altem Bildmaterial ist er interessiert.

„Als Rentner habe ich jetzt genügend Zeit, mich dieser Sache zu widmen“, so der Geschichtenforscher zum Melibokus Rundblick. Er hofft, dass sich genügend Bickenbacher einfinden werden, um ihn zu unterstützen.

Für Anfragen steht der Initiator gerne bereit. Telefonisch unter der Nummer 0176-35363748 oder per mail unter walter.scheele@gmx.net.