Bauen und Wohnen, Darmstadt

Beate Peter (Betriebsstättenleiterin, re.) und Simone Siewert freuen sich, dass das Kaufhaus der Gelegenheiten in seinen angestammten Räumlichkeiten in der Pallaswiesenstraße 122 in Darmstadt bleiben kann. Foto: soe
06. März 2020 

Darmstädter Second Handmarkt für die Zukunft gerüstet

Kaufhaus der Gelegenheiten muss nicht umziehen / Gebraucht kaufen ist ein Beitrag zum Klima- und Umweltschutz

DARMSTADT, März 2020 (pes), Beinahe wäre der Laden selbst zum Ausverkauf freigegeben worden. Die Einnahmen aus dem Verkauf haben nicht mehr für die Mietkosten geeicht. Das wäre es gewesen für das Kaufhaus der Gelegenheiten an der Pallaswiesenstraße 122. Kurz Ka-Gel. In letzter Minute hat der bekannte Second-Hand-Markt in Darmstadt dann doch noch die Kurve gekriegt.

„Wir haben doppelt Grund zum Feiern“, sagt Beate Peter. Der Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienstleistungen (EAD) hat sich mit dem Träger des Kaufhauses, der Verein „Zündholz – Hilfe zur Selbsthilfe“, darauf geeinigt, ab sofort eng zusammenzuarbeiten. Die neue Kooperation sieht einen gemeinsamen Betrieb des Kaufhauses und die Weiterentwicklung einer elektronischen Shoppingplattform vor. Zudem sollen nach und nach weitere Tätigkeitsbereiche wie der Aufbau einer Verleihstation, einer Tauschbörse und eines Reparaturnetzwerks unter Einbindung bereits bestehender Repair-Cafés hinzukommen. Und ganz wichtig: Der EAD bezahlt die Miete.

Mit dem Schulterschluss wollen beide Seiten einen Beitrag zur lokalen Müllvermeidung leisten. Langfristig sollen außerdem die mit dem Kaufhausbetrieb verbundenen Arbeitsplätze für Menschen mit Unterstützungsbedarf erhalten und weiter ausgeweitet werden, berichtet Beate Peter vor Ort. Dabei geht es vor allem um Personen, die im ersten Arbeitsmarkt schwer zu integrieren sind. Nachhaltigkeit lautet das Schlüsselwort. Zugegeben, etwas abgegriffen und verwässert. Doch auf den Kurs des Ka-Gel trifft der Begriff zu 100 Prozent zu.

800 Quadratmeter umfasst die Halle, die nun doch nicht mehr aufgegeben werden muss. Die Suche nach einer kleineren Alternative ist vom Tisch. Und die Macher atmen auf. Sie können sich nun auf das nächste Ziel in der 13-jährigen Biografie ihres Projekts konzentrieren: Sie wollen das Ka-Gel zu einem Zentrum der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure machen, die sich gemeinsam für eine humane und gesunde Zukunft einsetzen. Der Verein Zündholz wurde vom Sozialpädagogen Olaf Peter 2005 mit dem Anspruch gegründet, gute Beschäftigungsangebote für Menschen mit Suchtproblemen zu schaffen.

Mittlerweile arbeiten auch Menschen mit Behinderungen oder krankheitsbedingten Einschränkungen im Kaufhaus. „Viele empfinden das als eine Art Schutzraum und wollen gar nicht mehr weg“, so Beate Peter, die hier täglich vielen Stammkunden begegnet. Der Ort ist längst zu einem Treffpunkt geworden. Ein Refugium zum Stöbern und Quatschen. Eine soziale Oase mitten in Darmstadt.

Man trifft Menschen, die sich keine neue teure Einrichtung leisten können und im Sortiment preiswerte Gebrauchsgegenstände für ihre Wohnung finden. Tische und Stühle, Sofas und Betten, Accessoires und Elektroartikel. Eine alte Dame, die sich einen Plastik-Weihnachtsbaum reserviert hat. Ein arbeitsloser Mittvierziger, der ein neues Bett braucht. Aber auch Studenten auf der Suche nach WG-Mobiliar, passionierte Schnäppchenjäger und überzeugte Idealisten, die unbeirrt gegen den Konsum-Mainstream schwimmen.

„Jeder sollte Second Hand kaufen“, meint Beate Peter. Vieles sei zu schade zum Entsorgen und biete sich für eine weitere Nutzung an. Wer aus zweiter Hand kauft setze ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft und positioniere sich aktiv gegen einen Überfluss an Waren und Produkten, durch den wertvolle Ressourcen ausgebeutet würden. Das Ka-Gel ist eine dynamische Handelskammer für Dinge, die ein neues Zuhause suchen. Das Warenangebot wechselt ständig. Ladenhüter machen mehrere Rabattstufen durch, bis sie schließlich unwiderstehlich billig sind und das Haus verlassen.

Empfänger von Harz IV, Studenten, Azubis und Rentner mit geringen Bezügen erhalten beim Einkauf zusätzlich Prozente. Als gemeinnütziger Verein, Dienstleister und Ladengeschäft fährt das Konzept auf zwei parallelen Schienen. Bekannt ist das Team für komplette Haushaltsauflösungen, die von einem eigenen Transport-Team flott und kostengünstig übernommen werden. Auch Entrümpelungen, kleinere Umzüge und Transporthilfen werden geschultert. Die Idee finanziert sich selbst. Der Service noch besser als das Kaufhaus. Deshalb ist man weiterhin auf Spenden und ehrenamtliche Helfer angewiesen, so Beate Peter, die aber auch eine ganze Menge zu verschenken hat. Das Gratiskörbchen ist groß. Mit etwas Muse und Neugier findet eigentlich jeder irgendetwas. Objekte mit Biografie, Patina und Charakter. Aber auch schlichte Gebrauchsgegenstände, die einfach nur ganz unprätentiös ihren Zweck erfüllen müssen. Müll und Unbrauchbares sind tabu.

Im Kaufhaus der Gelegenheiten mit seinen derzeit 15 Mitarbeitern, darunter fünf Ehrenamtler, will man auch Menschen überzeugen, gebrauchte Dinge zu kaufen, die das sonst eher weniger tun. Irgendwann sollen drei zusätzliche Stellen für Menschen mit Handicap geschaffen werden und so ein veritabler Inklusionsbetrieb entstehen. Damit wäre dann auch eine finanzielle Förderung des Personals möglich.

Die Atmosphäre ist angenehm, eher ruhig als hektisch. Auch unter dem hauseigenen Personal. Man duzt sich, hört aufmerksam zu. Das Ka-Gel ist auch eine Bühne für Geschichten, Neuigkeiten und Klatsch. Und öfter auch ein Kummerkasten für die Kunden. Etwa 60 kommen täglich. Das Team arbeitet daran mit, Menschen Hoffnung und neue Perspektiven zu geben. Das scheint zu funktionieren: Bei einer Fragebogenaktion schnitt die Belegschaft mit Bestbewertungen ab.
Dennoch wissen die Peters, dass sich ihr Haus nicht allein durch gute Absichten und gelebten Altruismus trägt. Umso mehr hat man sich an der Pallaswiesenstraße über den Einstieg der EAD gefreut. Und umgekehrt. Denn von den Plänen, das Ka-Gel zu verkleinern, erfuhr auch die Stadt, wo es bereits konkrete Überlegungen gab, die beim EAD angesiedelte Internet-Tauschbörse sowie das am Recyclinghof installierte Tauschregal weiter auszubauen. Da man auf dem gleichen Gebiet tätig war, lag eine Kooperation auf der Hand.

Unter anderem könnte man bei der Sperrmüllanmeldung bereits abfragen, ob darunter gut erhaltene, wiederverwendbare Teile sind, die dann direkt zu Ka-Gel gehen könnten. Weitere Optionen der Verzahnung sollen geprüft werden. WO Synergieeffekte lauern, wollen die Partner zuschlagen. Im Dienst von Umwelt-, Klima- und Menschenschutz. Der Verein bleibt am Ball. Das Zündholz brennt weiter.