Alsbach-Hähnlein

Die älteste Bürgerin der Gemeinde Alsbach-Hähnlein ist Franziska Bonin (li.). Zu ihrem 100. Geburtstag Anfang November überbrachten Bürgermeister Sebastian Bubenzer (mi.) und Kreisausschuss Mitglied Doris Hofmann (re.) die Glückwünsche der Gemeinde und des Landrates. Foto: soe
06. März 2020 

Ein Jahrhundert Leben

Die Alsbacherin Franziska Bonin feierte im November ihren 100. Geburtstag

ALSBACH-HÄHNLEIN, März 2020 (erh), An der Sprachfärbung lassen sich die Lebensstationen von Franziska Bonin erkennen: Südhessischer Dialekt gepaart mit französischen und saarländischen Akzentuierungen. Eine Ziege nennt sie ‘Gaas‘, eine Pflaume ist eine ‘Quädsch‘ – die Mundart der hiesigen Region. Toilette betont sie mit französischem Einschlag, verzichtet auf das Endungs-e. Bei der Präposition ‘über‘ schlägt das Saarländische leicht durch: ‘iwwa‘.

Franziska Bonin ist ein Kind des 20. Jahrhundert, ihr Leben ist geprägt von den politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen der Zeit. In jungen Jahren ist sie eine Wanderin zwischen Deutschland und Frankreich. Ihre Heimat wird schließlich Alsbach, hier lebt sie seit mehr als 70 Jahren. Am 05. November feierte Franziska Bonin ihren 100. Geburtstag. „Ich habe so viele Erinnerungen“, blickt sie auf ein prall gefülltes Leben.

Die Wurzeln ihrer Familie liegen in Westpreußen. Aus wirtschaftlichen Gründen siedeln die Lewandowskis ins Ruhrgebiet um. 1919 kommt sie als Franziska Lewandowski in Kamp-Lintfort als ältestes von drei Geschwistern zur Welt. Ihr Vater arbeitet als Bergmann unter Tage. Während der Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen, eine Folge des Ersten Weltkrieges, zieht die Familie 1923 in die ehemals deutsche, nun französische Kleinstadt Stiring-Wendel. Vater Lewandowski findet dort eine Anstellung im Kohleabbau.

Franziska wächst zweisprachig auf, geht auf eine Mädchenschule. Aus dieser Zeit rühren frühe Erinnerungen. Eine Gruppe spielender Mädchen im Wald im Gebiet zwischen Deutschland und Frankreich, mal auf der einen Seite der grüne Grenze tobend, mal auf der anderen. „Wir sind dort einfach rumgerannt.“ Nach Abschluss der Schule ist sie als Näherin in einer Schuhfabrik beschäftigt, wird Vorarbeiterin. Im Zweiten Weltkrieg rekrutiert die deutsche Luftwaffe die junge Frau mit den zwei Muttersprachen als Übersetzerin. Während des Krieges lernt sie ihre große Liebe kennen: Ernst Bonin aus Alsbach. Sie verloben sich. Ernst Bonin gerät in Gefangenschaft. Er wird zunächst nach England später in die USA gebracht. Im April 1946 kehrt Ernst Bonin nach Deutschland und Alsbach zurück, seine Verlobte erwartet ihn. Am 1. November 1947 findet die Hochzeit statt. Der Ehe entstammen drei Kinder: Doris, Ernst-Ludwig, Rolf.

Als Katholikin besucht Franziska Bonin im evangelischen Alsbach regelmäßig den Gottesdienst in der evangelischen Kirche. Für sie ist das kein Problem. „Es gibt nur einen Gott.“ Sie wechselt zum evangelischen Glauben über. Sonntags in die Kirche zu gehen, ist für sie ebenso selbstverständlich wie modische Kleidung zu tragen. Hut, schönes Kleid, Glacéhandschuhe, Stöckelschuhe.

Im landwirtschaftlich geprägten Alsbach der ersten Nachkriegsjahre ist sie mit ihrem französischen Chic die Ausnahme. Den Klang ihrer Stöckelschuhe beim Weg durch die Kirchstraße hat sie noch in den Ohren. Sie ist eine der wenigen, die in diesen Tagen Radfahren kann und wird deshalb häufig nach Bickenbach zum Einkaufen geschickt. Franziska Bonin heiratet in einen Garten- und Landwirtschaftsbetrieb ein und muss mit anpacken. Sie schreckt vor der bisweilen harten körperlichen Arbeit nicht zurück, auch wenn sie sich um ihre schönen und zarten Hände sorgt. Sie sticht Spargel, arbeitet auf dem „Buckel“, ein Hang auf dem heute Wein, Alsbacher Schöntal, angebaut wird, und melkt Ziegen.

Den „Gaasen“ redet sie gut zu, so dass die Tiere sich zum Melken positionieren, sobald Franziskas Stimme zu hören ist. Sie kümmert sich um den heimischen Garten am Wohnhaus der Schwiegereltern, die Rosen erblühen unter ihrer Hand jahrzehntlang in wunderbarer Pracht.

Das Anwesen in der Sandstraße ist nach wie vor ihr zu Hause. Franziska Bonin, die seit 1993 verwitwet ist, wohnt im Erdgeschoss, einer ihrer Söhne im Obergeschoss. In dem Zimmer, in dem zwei Bonin-Kinder getauft wurden, findet im Beisein ihrer Tochter Doris Bonin-Müller das Gespräch mit dieser Zeitung statt.

Franziska und Ernst Bonin, er leitet in Alsbach ein Geldinstitut, erleben das Wirtschaftswunder. Ernst Bonin ist beim FC Alsbach und im Kegelverein des Ortes im Vorstand aktiv. Vor allem mit den Keglern unternimmt das Ehepaar viele Reisen. „Wo wir überall waren“, erzählt Franziska Bonin. Paris, St. Petersburg, Mallorca….

Bis vor wenigen Jahren hat sie die Rosen im Garten gehegt und gepflegt, jetzt erfreut sie sich an den Orchideen auf der Fensterbank des Wohnzimmers. Ihr Frühstück besteht aus einem Marmeladenbrot und einem Kaffee. Ihr Kartoffelsalat, den sie hin und wieder zubereitet, ist legendär in der Familie.

Ein Mittagschläfchen und die 19-Uhr-Nachrichten im Fernsehen sind feste Bestandteile des Tagesablaufs. Ihr Sehvermögen hat nachgelassen, sie unternimmt in Begleitung und mit Rollator kleinere Spaziergänge. Gegen 21 Uhr geht die siebenfache Oma und vierfache Uroma zu Bett. Manchmal kann sie nicht einschlafen. „Aber das ist nicht schlimm, ich hab ja so viele Erinnerungen.“ Zuweilen hat sie schöne Träume. Dann träumt sie oft von früher, von ihren Kindern, die durchs Wohnzimmer springen. „Das macht mich glücklich.“

Ein besonderes Rezept für ein langes Leben hat die hundertjährige Dame mit dem festen Händedruck nicht. Aber: „Ich habe immer viel geschafft.“ Doris Bonin-Müller hat eine Erklärung für das hohe Alter ihrer Mutter. „Das ist das gute Alsbacher Grundwasser“, sagt sie schmunzelnd. Da könnte durchaus etwas dran sein: Mit Johanna Ernst feierte eine weitere Alsbacherin ebenfalls in diesem November ihren 100. Geburtstag!