11. Dezember 2018 

Europa hat Afrika neu entdeckt

„Forum Heiligenberg“ diskutierte Entwicklungspolitik mit dem ruandischen Botschafter Igor César und Heidemarie Wieczorek-Zeul

SEEHEIM-JUGENHEIM, Dezember 2018 (meli), Der Botschafter Ruandas, Igor César, traf aus Stuttgart ein. Dort hatte er die Tauglichkeit des deutschen Sparkassensystems und der Funktionsweise der Landesbanken für sein Land erörtert. Von anderen, insbesondere der EU lernen, ist der zentrale Ansatz der Entwicklungspolitik von Ruanda, wie César später erklärte. Das passte zur Aussage des Afrika-Experten Michael Rabbow, wonach die Zukunft Afrikas ganz entscheidend in Europa gestaltet wird. Rabbow war auf Schloss Heiligenberg in Jugenheim Moderator der Jahresschlussveranstaltung des „Forum Heiligenberg“ zur brisanten Thematik von Flucht Migration und einer veränderten Weltlage im Verhältnis der beiden Kontinente.

Recht schnell schwenkte das Forum auf eine zukunftsbetonte Betrachtung dieser Themen ein. Die ehemalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, bedauerte eine fehlende kontinuierliche Berichterstattung über Afrika. Man lese darüber zu wenig und wenn, dann mehr über Probleme als über Chancen und Fortschritte; Verallgemeinerungen aber seien abträglich. Immerhin bestehe der Kontinent aus 54 Staaten, pflichtete Botschafter César bei, von denen lediglich drei Staaten (Nigeria, Sambia und Eritrea) Hauptursprungsländer von Migranten nach Europa seien.

Ruanda, das nach der schrecklichen Phase des Völkermordes von 1994 mit großen Wachstumsschritten so etwas wie ein Musterbeispiel einer auf Versöhnung und wirtschaftliches Wachstum ausgerichteten Politik gilt, nehme selbst viele Flüchtlinge und Heimkehrer auf wie auch andere Staaten in der Region, z. B. Uganda. César verwies zudem auf die überraschende Deeskalation im Verhältnis von Eritrea und Äthiopien, die Hoffnung mache auf den Wegfall eines gewichtigen Migrationsgrundes von jungen Eritreern.

Angesprochen von Bürgern, die sich selbst bei der Betreuung von Migranten und Flüchtlingen engagieren, wie denn Afrika mit der massiven Ausbeutung der heimischen Ressourcen und des Landes („land grabbing“) durch China und Indien umgehe, reagierte Botschafter César relativ gelassen: Man kenne die Interessen dieser Länder, aber man setze diesen eigene Interessen entgegen. „Mein Einfluss ist: Ich weiß, was ich will“. Man müsse schließlich nicht alles annehmen.

Das brachte die Runde auf die Kernfrage, was Afrika dringlich braucht. César zitierte den Satz eines Landsmanns: „Education is business – Bildung heißt Beschäftigung“. Und er berichtete von den großen Herausforderungen wie Infrastruktur, ein Bildungssystem aufzubauen und dafür zu sorgen, dass die große Zahl von Kindern und Heranwachsenden auch durch richtige Ernährung das Potenzial zum Lernen bekämen. „Heute erhält jedes Kind in Ruanda täglich 1 Liter Milch in der Schule“. Das ruandische Schulsystem ist seit 1994 massiv in dreigliedrige Züge ausgebaut worden, die Zahl der Studenten hat sich vervielfacht. Gesellschaftlich erinnere man sich an Werte auch aus der vorkolonialen Zeit.

Michael Rabbow berichtete von einer großen Erwartung in Afrika, die auf Deutschland laste mitzuhelfen, die Gesundheitssituation zu verbessern und auf dem Kontinent zu investieren. Heidemarie Wieczorek-Zeul ergänzte: Vor 40 Jahren habe es den Nord/Süd-Bericht von Willy Brandt gegeben. Das Ziel, „das Überleben zu sichern“ bleibe gültig und sei erreichbar durch alle Maßnahmen, den Frieden zu sichern, für Gerechtigkeit einzutreten, Hilfe beim Aufbau sozialer Sicherungssysteme zu geben, ebenso beim Aufbau von Steuersystemen, um von Gebern unabhängig zu werden und Korruption zu bekämpfen. Die Lage der Frauen müsse verbessert werden. Auf allen Feldern gebe es Fortschritte, wobei César darauf verwies, dass der Frauenanteil im Parlament von Ruanda höher sei als in Schweden, ganz zu schweigen von Deutschland.

Afrika ist, darüber waren sich alle Referenten einig, definitiv in den Brennpunkt europäischer Politik gerückt: Allein die drei Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Finanzen und Wirtschaft haben mit den G20-Initiativen „Marshallplan für Afrika“, „Compact with Africa“ und „Pro!Afrika“ wichtige Zeichen gesetzt.