Kirche, Schwanheim und Fehlheim

Eine Ausstellung zum Thema „Flucht und Fluchtursachen“ in unterschiedlichen Zeiten zeigten Initiator Berndt Biewendt (re.) vom ev. Dekanat Bergstraße und Pfarrer Hans Greifenstein, unter dem Titel „Fremde Heimat“. Foto: soe
11. März 2016 

Historische Multimedia-Perspektive zum aktuellen Flüchtlingsthema

In Ergänzung zur Fotoausstellung „Fremde Heimat“ veranstaltete die evangelische Gemeinde Schwanheim ein Stummfilmkonzert für Kirchenorgel und Chaplinfilme

SCHWANHEIM, März 2016 (pem), Flüchtling – es bedurfte nicht erst der Kür zum „Wort des Jahres“, um neben der praktischen Hilfsarbeit und konträrer politischer Diskussion eine vielgestaltige Auseinandersetzung mit dem Begriff in Gang zu setzen. Künstler unterschiedlichster Genres fühlten sich vor allem auf den Plan gerufen, den Blick zu weiten und die Frage nach der aktuellen „Willkommenskultur“ in übergeordnete gesellschaftliche Dimensionen zu rücken oder in historische Anbindung zu bringen. Auf diese Weise wird Kunst gewissermaßen als intellektuelle Begleiterin aktueller Geschehnisse zum Mittel der Bewusstseinsbildung auf ihre Art: sie gestaltet mit sinnlichem Nachdruck den emotionalen Part.

Auch in der evangelischen Kirchengemeinde Schwanheims setzt man darauf, in dem man der Foto-Ausstellung „Fremde Heimat“ Raum gewährte. Berndt Biewendt hat sie initiiert. Die Ausstellung verleiht dem Begriff „Flüchtling“ Profil, gibt ihm mit Gesichtern und Geschichten Leben. Der Besucher betrachtet Portraitbilder von Menschen, denen er irgendwo im Landkreis Bergstraße auf der Straße begegnen könnte, denn sie leben hier, als neu angesiedelte oder alt eingesessene Nachbarn. Biewendt spannte den Bogen von der momentanen „Flüchtlingswelle“ weiter aus bis hin zu den Heimatvertrieben. Aus den zahlreichen von ihm geführten Interviews destillierte er die unterschiedlichen Schicksale und Motivationen, die einen Menschen dazu bewegen, alles hinter sich zu lassen und einen ungewissen Neuanfang zu wagen. Das Wesen der Kunst ist dynamisch, so dass ein Impuls oft weitere Aktivitäten auslöst. Das geschah beim Zusammentreffen mit Han Kyoung Park-Oelert, bei deren Amtsantritt als Dekanatskantorin in Rimbach. Vor 17 Jahren zog sie nach Deutschland und setzte ihr in Seoul begonnenes Studium der Kirchenmusik fort und ließ dem Abschluss ein zweijähriges Aufbaustudium mit dem Hauptfach Orgelimprovisation folgen. Daraus erwuchs die intensive Beschäftigung mit der musikalischen Begleitung von Stummfilmen.

Ihr drängender Wunsch sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren gewann Konturen, die Idee zu einem Konzert als Ergänzung der Ausstellung war geboren. In seiner Begrüßung zu dem originellen und seltenen Kunstgenuss kündigte Pfarrer Hans Greifenstein „Multimedia wie vor hundert Jahren“ an. Die Auswahl von Chaplin-Filmen begründete er: „Chaplin ist ein wirklicher Clown und über die wahren großen Clowns kann man nicht nur lachen, sondern auch weinen.“

Diese Clownerie ist der Weg zwischen schwarz und weiß. Sie setzt dort ein, wo Situationen eigentlich nicht zu ertragen oder zu verstehen sind. Der Humor stellt sich darüber, überhebt sich und hebt sie auf. Das charakterisiert ebenso den gezeigten „Immigrants“ und „Vagabonds“: Auf sehr subtile und poetische Weise werden unter zum Teil derber Slapstickkomik auch Fragen nach Freiheit, Selbstwert und Authentizität behandelt. Feinfühlig zieht die Organistin buchstäblich alle Register, um sämtliche Ebenen der cineastischen Kunst zu bedienen.

Sie gestaltet klanglich die Atmosphäre, staffiert lautmalerisch die Geräuschkulisse aus. Personen erhalten mit Leitmotiven ihre Identität. Körperbewegungen und Gefühlsregung spiegeln sich in Tönen. Es ist ein so umfassendes und grandioses Hörerlebnis, dass man als Zuschauer schon nach kurzer Zeit das Empfinden hat, in eine komplett neue Sprachwelt eingezogen zu sein, die Sinneseindrücke und geistige Verarbeitung auf ungekannte Weise verknüpft. Auf scheinbaren ästhetischen Umwegen gelangt man also zum Kern des Begriffs „Flüchtling“: die Sehnsucht, der Wunsch und Wille nach Identität und Selbstsein.

Der tosende Applaus zeigte, dass diese ernste Botschaft ankam und sich das Publikum dennoch bestens amüsiert und von einem originellen Kunstgenuss bereichert fühlte. Das dürfte den für die Flüchtlingshilfe bestimmten Spenden, die Eintrittsgebühren ersetzten, zuträglich gewesen sein.