15. August 2018 

Mit künstlicher Intelligenz gegen Hunger

TU-Informatiker wollen die Welternährungsbedingungen verbessern

DARMSTADT, August 2018 (meli), Weltweit leiden fast 800 Millionen Menschen an Unterernährung. In Zukunft könnte es rund 9,7 Milliarden Menschen geben – rund 2,2 Milliarden mehr als heute. Die globale Nachfrage nach Nahrungsmitteln wird steigen, während der Klimawandel immer mehr unfruchtbaren Boden hinterlässt. Wie sollen sich künftige Generationen noch ernähren? Kristian Kersting, Professor für Maschinelles Lernen an der Technischen Universität Darmstadt, und sein Team sehen eine mögliche Lösung in der Anwendung Künstlicher Intelligenz (KI). Ein spezielles Verfahren der KI, das Maschinelle Lernen, könnte Grundlage für sogenanntes Precision Farming sein, mit dem mehr Erträge auf gleich großen oder geringeren Anbauflächen realisierbar wären. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung gefördert. Partner sind das Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz (INRES) der Universität Bonn sowie die Aachener Firma Lemnatec.
 
„Wir möchten zunächst verstehen, wie physiologische Prozesse in Pflanzen aussehen, wenn sie Stress erleiden“, sagt Kersting. „Stress entsteht zum Beispiel, wenn Pflanzen nicht genügend Wasser aufnehmen oder mit Krankheitserregern infiziert sind. Maschinelles Lernen kann uns dabei helfen, diese Prozesse genauer zu analysieren.“ Mit dem Wissen ließen sich resistentere Pflanzen züchten und Krankheiten effizienter bekämpfen.
 
Die Forscher installierten eine hyperspektrale Kamera, die ein breites Wellenspektrum erfasst und tiefe Einblicke in die Pflanzen gewährt. Je mehr Daten über die physiologischen Prozesse einer Pflanze während des Wachstumszyklus zur Verfügung stehen, desto besser kann eine Software darin wiederkehrende Muster ausfindig machen, die für Stress verantwortlich sind. Zu viele Daten können allerdings ein Problem sein, da die Berechnungen zu aufwendig werden. Die Forscher brauchen also Algorithmen, die für das Lernen nur einen Teil der Daten nutzen, ohne an Genauigkeit einzubüßen.
 
Kerstings Team fand eine clevere Lösung: Um die Daten auszuwerten, setzte es ein weit fortgeschrittenes Lernverfahren aus der Sprachverarbeitung ein, das zum Beispiel bei Google News verwendet wird. Dort wählt eine KI für den Leser täglich aus 10.000en neuen Artikeln die für ihn relevanten aus und sortiert sie thematisch vor – und zwar mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsmodellen, bei denen alle Wörter eines Textes einem bestimmten Thema zugeordnet werden. Kerstings Trick bestand nun darin, die hyperspektralen Bilder der Kamera wie Wörter zu behandeln: Die Software ordnet bestimmte Bildmuster einem „Thema“ zu, etwa einem Stress-Zustand der Pflanze.
 
Aktuell arbeiten die Forscher daran, der Software beizubringen, sich mittels Deep Learning selbst zu optimieren und die Muster, die für Stress stehen, schneller zu finden. „Eine gesunde Stelle kann man zum Beispiel anhand des Chlorophyll-Gehalts im Wachstumsprozess der Pflanze erkennen“, sagt Kersting. „Wenn ein Austrocknungsprozess stattfindet, ändert sich das gemessene Spektrum signifikant.“ Der Vorteil des Maschinellen Lernens ist, dass es solche Anzeichen früher erkennen kann als ein menschlicher Experte – die Software lernt, auf mehr Feinheiten zu achten.
 
Später, so die Vision, sollen Kameras entlang von Pflanzenreihen auf einem Fließband im Gewächshaus installiert werde – dann kann die Software jederzeit auf Auffälligkeiten hinweisen. Das System soll zudem lernen, selbst unbekannte Krankheitserreger zu identifizieren – durch den ständigen Austausch mit den Pflanzenexperten. „Letzten Endes ist unser Ziel eine sinnvolle Partnerschaft zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz, um das wachsende Problem der Welternährung bewältigen zu können“, so Kersting.