Bauen und Wohnen, Bensheim

m ein besseres Gefühl für die topografischen und städtebaulichen Gegebenheiten auf dem Marktplatz zu vermitteln, markierten schwebende Ballons unterschiedliche Gebäudehöhen. So wurde unter anderem erkennbar, wie viel von der Kirchenfassade bei welchem Vorschlag für ein Gebäude am Marktplatz noch zu sehen ist. Foto: Eva M. Wicht
06. März 2020 

„Schorschblick“ oder Vorbau? Bensheim schaut nach oben

Ballonaktion sollte Verständnis potenzieller Gebäudehöhen schüren

BENSHEIM, März 2020 (pes), Alle reden vom „Schorschblick“. In Bensheim ist das Thema in aller Munde, seit das Haus am Markt im August endgültig von der Bildfläche verschwunden war. Und unter den Trümmern des 70er-Jahre-Baus lagen über Nacht auch die Planungen für den eigentlich beschlossenen Neubau. Bürgermeister Rolf Richter hatte die Reißlinie gezogen und aus einem parlamentarischen Beschluss eine offene Debatte gemacht. Das hat nicht jedem gefallen – doch die „Schorschblick“-Fraktion hält der Solo-Entscheidung kollektiv die Stange.

Auch, wenn viele den freien Blick auf die Kirche St. Georg bevorzugen: in einem „ergebnisoffenen Dialogprozess“ unter Mitarbeit eines Bürgernetzwerks sollen Lösungen für eine Wiederbelebung des seit Jahren zunehmend verwaisten Marktplatzes gesucht und gefunden werden. Auch in baulicher Hinsicht. Kurz: Es geht um die Zukunft des alten Zentrums. Mit oder ohne Kirchenvorbau.

Um die topografischen Gegebenheiten und Möglichkeiten zu erhellen und den Bürgern konkrete Anhaltspunkte für potenzielle Gebäudehöhen zu bieten, haben Annemarie Biermas und Carolin Schmidt vom städtischen Baudezernat eine besondere Idee umgesetzt.

Sie ließen bunte Luftballons steigen, die an den Eckpunkten des alten Hauses verschiedene Gebäudehöhen markierten. Zahlreiche Bensheimer kamen Anfang November auf den Marktplatz, um sich die Aktion anzusehen und mitzureden. Es ging vor allem darum, wie viel von der Kirchenfassade bei verschiedenen Varianten jeweils noch zu sehen ist. Von vier bis etwa zehn Metern reichte das Spektrum. Im Gespräch mit den Fachleuten – und einem ideologisch unverbauten Blick auf die Szenerie – wurde schnell deutlich, dass ein flacher Bau zwar recht viel von St. Georg im Sichtfeld belässt, das benachbarte Parkhaus-Oberdeck und die Mauer unterhalb der Kirche aber kaum verdecken würde. Beides keine ästhetischen Perlen, die man in Bensheim gern verschleiert sähe. Laut Rathauschef sollte die Aktion dazu beitragen, aus welcher Perspektive man welchen (freien) Blick auf die Kirche haben soll.

Zu den bisherigen Argumenten für und gegen eine Bebauung hatten sich im Zuge der Veranstaltung keine neuen dazugesellt. Die einen wehren sich vehement gegen jede Form der Bebauung, andere favorisieren einen moderaten Neubau als Gestaltungselement eines Platzes, der ohne baulichen Abschluss viel von seinem Platz-Charakter einbüßen würde – wie man derzeit selbst feststellen könne. „Es fehlt ein Element, das den Platz zum Osten hin definiert“, so ein Bensheimer, der sich nach eigener Aussage schon mit vielen Experten ausgetauscht habe. Das Maß einer potenziellen Bebauung ist so fließend wie die Akzeptanz der Bürger: einige können sich einen schmucken, nicht zu hohen Neubau gut vorstellen. Doch die Größe des Gebäudes würde auch davon abhängen, welche Art der Nutzung vorgesehen ist.

Konkrete Konzepte lagen bei Redaktionsschluss noch nicht auf dem Tisch. Indes marschiert das Dialogforum „Marktplatz der Zukunft“ munter weiter. Mit den unterschiedlichen Lösungsansätzen für die Gestaltung vor allem der Ostseite des Platzes haben sich drei Arbeitsgruppen an zwei Abenden intensiv auseinandergesetzt. Mit den bisherigen Ergebnissen soll eine vertiefende Erörterung und Einordnung von Empfehlungen und Positionen folgen. Ziel ist es, am Ende der ersten Phase des Dialogprozesses Eckpunkte für einen städtebaulichen Wettbewerb zu formulieren, der im Frühjahr 2020 ausgelobt werden soll.
Entscheidend sind zunächst drei zentrale Fragen: Wie kann vom Marktplatz ein belebender Impuls für die Innenstadt ausgehen, den sich die Mehrheit der Bensheimer erhoffen? Ist dafür ein neues Bauwerk nötig? Und wenn ja: Wie viel „Schorschblick“ ist gewollt beziehungsweise: Wie viel von der Sandstein-Fassade der Stadtkirche soll von welchem Punkt aus als städtebauliche Dominante zu sehen sein?

Eine Zwischenbilanz soll am 18. Dezember bei einer moderierten Bürgerversammlung gezogen werden. Das letzte Wort zum weiteren Verfahren hat dann die Stadtverordnetenversammlung. Dem Bürgernetzwerk ist nach eigenem Bekunden weiterhin daran gelegen, möglichst viele Bensheimer in die Entscheidungsfindung einzubinden. Es bleibt spannend.