Bickenbach, Kirche

Den Buchdruck als Handwerk präsentierten Renate und Bernd Knodel an der Abziehpresse im Museum Bickenbach. Foto: soe
05. Oktober 2017 

„Schwarze Kunst“ für helle Gedanken

Die Sonderausstellung „Gott grüßt die Kunst“ ist noch bis zum 5. November im Kolb‘schen Haus zu besichtigen

BICKENBACH, Oktober 2017 (pem), Das sich neigende Jubiläumsjahr der Reformation hat den Kulturinteressierten eine unabsehbare Flut von Publikationen und Veranstaltungen beschert. Wenn der Bickenbacher Geschichts- und Museumsverein dem vielschichtigen Luther-Gedenken dennoch eine weitere Ausstellung hinzufügt, geschah das mit Bedacht und einem besonderen Anliegen. Weder Luthers Biographie noch die geistesgeschichtliche Einordnung stehen allein im Mittelpunkt.

Der Focus liegt auf einem bedeutenden Teilaspekt der Reformation: Mit Dokumenten und zahlreichen faszinierenden Exponaten illustriert die Sonderschau das Zusammenwirken, die unmittelbare gegenseitige Abhängigkeit von der Fortentwicklung der Druckkunst und der Ausbreitung des Gedankenguts, das zunächst noch so „subversiv“ auf die bestehenden klerikalen Strukturen und liturgischen Praktiken wirkte.

Hervorragend gelingt es den Besucher dabei auf wenig „ausgetretenen Pfaden“ zu führen und den Blick kompetent und kenntnisreich gelegentlich auf marginalere Ereignisse und Details zu richten. Ein Beispiel dafür ist die problematische Durchsetzung des „Lutheranischen“ in Österreich. Junge Adelige nach Bildung strebend in Wittenberg, hatten Kenntnis von Luthers Ideen, hörten ihn selber und den intellektuellen Schatz mit sich über die Alpen als Gefahrgut. Ebenso hielt sich Philipp der Großmütige aus dem Hause Hessen unter den Studierenden, der schließlich für die Verbreitung in seinem Heimatland sorgte, wodurch auch Bickenbach zum „Kirchspiel“ werden konnte, d.h. die hier ausgerichteten Gottesdienste hatten ein Einzugsgebiet etlicher umliegender Gemeinden.

In Österreich standen dem strengsten Verbot durch die Kirchenherren die unaufhaltsame Begeisterung der Bevölkerung gegenüber: Man lebte gefährlich damit, Abbildungen zeigen, wie Fachwerkbalken in den Häusern ausgeschachtet wurden, um in den Nischen Bibeln und anderes Schrifttum zu verbergen. Die Atmosphäre des Katakombengemeindewesens der Urchristen schien zurückgekehrt. Geprägt von Angst, getragen von unverbrüchlicher Glaubensstärke. Eindringlich vermittelt sich dem Besucher auf diese Weise die immense Tragweite der Reformation und ihre Abhängigkeit von Kommunikation. Andererseits stärkte die positive Aufnahme des Gedankenguts nicht nur in gelehrten Köpfen, sondern auch in denen „einfacher Menschen“, die Nachfrage nach Gedrucktem, was dem Fortschritt der Druckerei Auftrieb gab. Die Massen hatten ihr Medium gefunden! Dadurch brauchte sie kein Dasein als Nischenhandwerk zu fristen, wie es seinerzeit in China geschah, wo man des Verfahrens schon wesentlich früher kundig geworden war. Darauf wies Markus Hennemann hin, der in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Gemeindevertretung die Sonderschau mit einem Gruß- und Dankeswort würdigte. Höchste Anerkennung zollte er der Kooperation von „Museumsmachern“ und der Kirche. Für die evangelische Gemeinde begrüßte Niels Peter Thomas das Publikum und bestätigte die unschlagbar gute Kooperation.

Der noch heute übliche Buchdrucker-Gruß zeigt die Vernetzung von Religion und Druck „Gott grüß die Kunst“- „Gott grüße sie!“ So erklärt sich auch der Titel der Ausstellung und mit Bernd Knodel hat der Verein einen sachkundigen Vertreter der Zunft in seinen Reihen, der seiner in der Organisation federführenden Frau Renate kräftig assistierte. Besucher können sich freuen auf einen Rundgang mit ausgefallenen Exponaten. Die kostbaren Leihgaben umfassen eine reiche Zahl an Gesangbüchern und natürlich Bibeln, Nachdrucke, restaurierte Prachtbücher ebenso wie Familienexemplare, Feldbibel von 1897 oder das Künstlerbuch von Hundertwasser im ausgehenden 20. Jh. gestaltet.
Daneben veranschaulicht man den Weg der Schriftverbreitung von den klösterlichen Schreibstuben ausgehend. Als bahnbrechende technische Neuerungen kommen die in Blei gegossenen beweglichen Lettern, die darauf fußende Satztechnik sowie die Konstruktion einer Doppelseiten produzierenden Druckpresse in Betracht.

Eine im ersten Stock eingerichtete Modellwerkstatt macht den Museumsbesuch auch durchaus zum „interaktiven“ Ereignis, denn hier darf jeder mal selbst ein wenig Gutenberg nachspüren und sich als „Jünger der schwarzen Kunst“ betätigen. Zu den üblichen Museumsöffnungszeiten ist die Ausstellung an den Wochenenden und am Reformationstag noch bis 5. November zu besichtigen. Zur Eröffnung bekam das Publikum eine musikalische Ergänzung zu Luthers Wortschöpfungen. Der Flötenkreis erfreute mit mehreren Liedern seiner Bearbeitung, allem voran „Ein feste Burg ist unser Gott“.