Garten-Natur-Tiere, Kreis Odenwald, Seeheim-Jugenheim

Artenschutz in der Kirche: Auch Eulen nutzen Kirchtürme und andere Gebäude statt natürlicher Unterschlüpfe in Felsen oder Bäumen. Foto: pes
01. September 2020 

Tierisches Kirchenasyl: Refugium für bedrohte Arten

Initiative in Ober-Beerbach vom NABU ausgezeichnet

OBER-BEERBACH, September 2020 (pes), Artenschutz und kirchliches Engagement passen hervorragend zusammen. Denn für viele seltene Vogel- und Tierarten sind Kirchtürme ideale Unterkünfte. Schleiereulen, Turmfalken, Dohlen und Fledermäuse etwa, die sonst nur noch schwer einen geeigneten Lebensraum finden, schätzen die luftigen Brutplätze nicht nur wegen ihrer attraktiven Aussicht.

„Die Tiere sind dort ungestört“, betont Stefan Leng. Der stellvertretende Vorsitzende der NABU-Gruppe Seeheim-Jugenheim ist ein Vogel-Experte und weiß, wie kostbar solche stillen Refugien für die heimischen Flieger sind. Umso besser, wenn es vor Ort Menschen gibt, die sich aktiv darum kümmern, solche Wohngemeinschaften einzurichten. In Ober-Beerbach gibt es bereits seit vielen Jahren eine rührige Vogelschutzgruppe, die sich unter dem Dach des örtlichen Verschönerungsvereins bemüht, die Bedingungen für die heimische Vogel- und Insektenwelt dauerhaft zu verbessern. Die evangelische Kirchengemeinde ist dabei ein guter Partner.

In der Gemarkung haben die Naturfreunde in den vergangenen 15 Jahren bereits über 200 Nistkästen für Höhlenbrüter aufgehängt, die regelmäßig auf ihre Nutzung kontrolliert und gereinigt werden. Mit rund 75 Prozent Belegung sind die Tierschützer durchaus zufrieden. „Eine gute Bilanz. Die Populationen haben sich erfreulich entwickelt“, berichtet Günther Ludwig, der gemeinsam mit Horst Brießmann zu den Initiatoren und zum harten Kern der Vogelschutzgruppe gehört.

Jetzt hat die Gruppe für ihr langjähriges Engagement eine besondere Auszeichnung erhalten: mit der Plakette „Lebensraum Kirche“ zeichnet der Naturschutzbund Deutschland (NABU) Gemeinden aus, die ihre Kirchtürme so gestalten, dass sie bedrohten Vogelarten als Ersatz für den Verlust natürlicher Nistplätze dienen. Denn viele Vogelarten siedeln sich gerne in der Nähe des Menschen an. Sie nutzen Kirchtürme und andere Gebäude in Städten und Dörfern statt natürlicher Unterschlüpfe in Felsen oder Bäumen. Etliche Arten leiden aber darunter, dass diese Brutmöglichkeiten in den Siedlungen zunehmend verloren gehen.

Bei Kirchturmsanierungen werden oftmals Einfluglöcher oder Brutnischen verschlossen oder Gitter zur Abwehr von Tauben angebracht. Auch kleine Arten wie Spatz oder Hausrotschwanz stehen dann vor verschlossenen Türen. Nicht so in Ober-Beerbach. An der Fassade des Kirchturms sind spezielle Brutkästen angebracht, in denen zum Beispiel Mauersegler nisten können. Im Gebälk wurde ein Einflugloch für Turmfalken geschaffen. Im Zuge der Kirchenrenovierung 2012 hatten die Mitglieder des Verschönerungsvereins mit der Kirchengemeinde darüber beraten, wie und an welcher Stelle man mehr Leben in den Kirchturm bringen könnte. „Jakob Hess hatte mich animiert“, erinnert sich der örtliche Vogelschutzbeauftragte Günther Ludwig an die Idee des Vereinsgründers, das Thema stärker ins Visier zu nehmen.

Als erstes wurden Eulenkästen aufgehängt. Die damals noch sesshafte Schleiereule konnte in den letzten Jahren aber nicht mehr gesichtet werden. Dafür sind die Turmfalken heute regelmäßige Gäste an der Ostseite der Kirche. Weniger begeistert sind die Vogelfreunde von den Tauben, die ihre Kästen immer wieder gern als Untermieter nutzen. Die Urkunde des NABU wurde bei der Übergabe vor Ort als Motivation zur weiteren Arbeit dankend angenommen. Mit dabei auch Pfarrerin Angelika Giesecke vom evangelischen Pfarramt, der Vereins-Vogelschutzwart Kurt Moritz und zweiter Vorsitzender Walter Hess.

Ins Leben gerufen wurde die NABU-Aktion im Jahr 2007 zusammen mit dem Beratungsausschuss für das deutsche Glockenwesen. Damals war der Turmfalke offizieller „Vogel des Jahres“. Eine Art, die wie kaum ein anderer auf Nistmöglichkeiten in Kirchtürmen angewiesen ist, betont der Naturschutzbund, der sich nach eigenen Angaben für ein ungestörtes Miteinander von Mensch und Tier in der Stadt stark machen will. In Hessen wurden bislang gut 80 Kirchen mit der Plakette ausgezeichnet. Bundesweit sind es über 1000.

In Sachen Vogelkunde ist der Verschönerungsverein aber noch anderweitig aktiv: Seit 1997 wird jedes Jahr ein neues Schild am Vogel-des-Jahres-Weg aufgehängt. Anfang 2019 wurden alle Motive überarbeitet und moderner gestaltet. Mit einer kurzen Beschreibung zu den einzelnen Vögeln und einem Bild kann nun jeder die Arten auch in der Natur erkennen. Ein ornithologischer Spaziergang zwischen Dorfplatz an der alten Bürgermeisterei und der Jakobshütte lohnt sich.

Als nächste Aktion plant man die Einrichtung einer Nestkamera, um die Gäste der Kirche genauer beobachten und den Nachwuchs bestimmen zu können. Für eine bessere Übertragung will der Verein eigens ein Richtfunksystem einrichten. Laut NABU-Fachmann Stefan Leng werden die Vögel durch die Linse nicht gestört. Und auch das Glockengeläut sei nicht problematisch: „Das ist ein regelmäßiges Geräusch. Die Tiere gewöhnen sich daran.“