Mehr Muße als Buße auf dem Königsweg zum Ich
Der Seeheimer Verein Delegato fördert die Pilgerkultur und setzt sich für bedürftige Menschen ein
SEEHEIM-JUGENHEIM, August 2014 (pem), Wisset, dass ihr Pilger seid auf dem Weg zum Herrn“, mahnte Kirchenvater Augustinus. Bildhaft meinte er eher unsere Lebensspanne, in der wir auf der Welt wandeln, immer wieder Veränderungen erfahren und uns an mancher Gabelung entscheiden müssen über die weitere Richtung des Lebenslaufs. Der Mensch ist in Bewegung, räumlich und innerlich.
Trotzdem empfinden es viele eher, als träten sie auf der Stelle, fühlen sich gefangen im sprichwörtlichen Hamsterrad. Sie spüren Selbstentfremdung, stellen die Sinnfrage ihrer Existenz.
Der Wunsch zu sich selbst , innerer Ruhe und Stärke zu finden, ist nicht mehr zu unterdrücken. Die Sehnsucht nach dem Einklang mit sich selbst, allem Umgebenden, Gott und der Welt.
So führt die Suche nach dem Königsweg zum Ich oft auf den Pilgerpfad. Seit über tausend Jahren nehmen Menschen Mantel, Stab und Muschelhut, um sich auf die fromme Wanderschaft nach Santiago de Compostela zu begeben, doch die Pilgertradition nach Jerusalem, Rom und zu anderen heiligen Orten reicht noch viel länger zurück. Wenn auch Prominente wie Hape Kerkeling „mal eben weg sind“ und ihre Erfahrungen medienwirksam der Öffentlichkeit präsentieren, leistet das auch dem eher modehaften Pilgertourismus Vorschub, der nicht unbedingt von der gleichen Seelentiefe geprägt ist.“Was nicht ist, kann ja noch werden, jedenfalls gibt es keine besseren und weniger guten Pilger dort, wo der Weg das Ziel ist,“ betont Jörg Mattutat. „Beweggründe gibt es so viele, wie Wanderer auf den heiligen Pfaden unterwegs sind, jeden zieht etwas anderes. Der Wunsch nach besinnlicher Auszeit und einfachem Leben steht oben an, wichtig ist dabei ebenso die körperliche Erfahrung von Anstrengung und Naturverbundenheit, spirituelles Suchen, den Glauben zu stärken ebenfalls. Bitten um Heilung und Lösung von Schwierigkeiten tragen auch etliche mit sich.“ Dass Jörg Mattutat 2006 zusammen mit zwei Freunden per Fahrrad aufbrach, um über den französischen Jakobsweg Santiago de Compostela zu erreichen, versteht er als Verneigung.
„Ich wollte einfach Danke sagen für die vielen guten Lebensjahre, die mir geschenkt worden waren!“ Entlang der Route lockten immer wieder kunsthistorische Schätze, Kirchen, Klöster, Andachtsorte als faszinierend Stein gewordene Bitten und Gebete, Lobpreisungen und Danksagungen früherer Pilgergenerationen.
Die vielen intensiven und nachhaltigen Erfahrungen der Reise hatten ihn mit dem „Pilgervirus“ infiziert. Das reifte weitere drei Jahre bevor es ihn beflügelte, mit seiner Begeisterung an die Öffentlichkeit zu treten. Diese zu teilen und weiter zu reichen wurde zum drängenden Anliegen: Dem folgte die Gründung von „Delegato“ (lateinisch: Gesandte). Das Selbstverständnis des gemeinnützigen Vereins spricht bereits aus dem Namen.
Mit Rat, Tat und Finanzen hilft der Verein all denen ihr Pilgerprojekt zu verwirklichen, die sich nicht selber auf den Weg machen können.Also Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder in prekärer Versorgungssituation. Schon im 14.Jh. sandte ein schwer erkrankter hanseatischer Kaufmann seinen Neffen als Stellvertreter auf den heiligen Weg, damit er an seiner statt sein Gebet nach Jerusalem trage. Auf dem Jacobsweg richtete man an verschiedenen Orten Sammelstellen für Fürbitten ein, die die vorbeiziehenden Pilger dann nach Compostela mitnahmen.
Vor allem setzt sich „Delegato“ dafür ein, das öffentliche Bewusstsein für Wert und Wesen des Pilgerns zu schärfen Exkursionen zu Vorträgen und anderen Veranstaltungen außerhalb dienen dazu. Unvergessen sind aber auch die vor Ort organisierten Aktionen wie das mittelalterliche Laurentiuskirchenkonzert der „Spielleut“, um den musikalischen Aspekt der frommen Wanderschaft erlebbar zu machen.
Das jüngste Projekt, die Zusammenarbeit mit dem „Rex“ Kino, sieht die Vorführung von Filmen , die sich mit dem Thema beschäftigen vor. Im Juni gab der Klassiker „Brüder“ den Auftakt dazu. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Planung und Durchführung von Reisen: kürzere Auszeiten, Tage der Stille und Einkehr, finden in Klöstern, wie der Abtei Münster-Schwarzach statt. Die große Pilgerreise führt in diesem Jahr nach Italien. „Begünstigt durch die Namenswahl des Papstes ist zu erwarten, dass der Franziskusweg bald sehr frequentiert sein wird.
Deshalb wollen wir in diesem Jahr die Strecke von La Verna nach Poggio Bustone bewältigen.“ Der „comandante“ Helmut Henningsen kundschaftete die Route mit Sightseeingstops aus, sorgte für Unterkünfte und organisierte den Gepäcktransport, so dass die kombinierte Fuß-Radwanderung ein angenehmes, comfortables Erlebnis mit der nötigen Ruhe und Besinnlichkeit erden wird – bleibt nur noch den Mitgliedern, andere Interessierte für den Camino de Francesco zu begeistern und wie der „Troubadur Gottes“, Franz von Assisi selber, die Reisenden einladend zu grüßen: „Buon giorno, buona gente!“

