400 Jahre in Stein gegossen
In einer großartigen Inszenierung aus Fotografie und dokumentarischen Exponaten präsentiert das Alsbach-Hähnleiner Museum die Geschichte des jüdischen Friedhofs
ALSBACH-HÄHNLEIN, Juli 2016 (pem), „Bet olam“ – „Haus der Ewigkeit“ wird auf Hebräisch ein Friedhof genannt. Ein heiliger Ort: Das unbegrenzte Erhalten der Totenruhe und der Gräber ist von immenser Bedeutung, da im jüdischen Glauben die Vorstellung von der leibhaftigen Auferstehung fest verankert ist. Eine reiche, religiös motivierte „Sepulkralkultur“, die fremd und befremdlich wirkt solange man sich nicht auf den Weg einlässt, der zur geistigen Welt dahinter führt.
„Den wenigsten unter uns ist es vergönnt, in persönlichem Kontakt mit Juden zu stehen“, konstatierte Konrad Hoppe bedauernd. Umso wichtiger war es dem Alsbach-Hähnleiner Museumsverein und seinem ersten Vorsitzenden beim Betreuen der aktuellen Ausstellung nicht nur die 400-jährige Bestehens-geschichte des jüdischen Friedhofs darzustellen. Darüber hinaus wollte man vergegenwärtigen, welchen Platz jüdisches Leben im sozialen Gefüge des Gemeinwesens einnahm und dass Alsbach mit dem jüdischen Friedhof ein „großartiges Denkmal“ besitzt.
Um der historischen Institution zur gebührenden Aufmerksamkeit zu verhelfen, hat Johannes Mingo seine Führungen mit Erläuterungen über das Gelände wieder aufgenommen. (Die nächste Führung findet am 1. Juli um 16.30 Uhr statt). Konrad Hoppe betont: „Wir gehören nicht zu denjenigen, die über das Thema Juden nicht reden wollen!“ Das Museum gibt den Auftakt zu Aktivitäten, die auch in Hähnlein die Arbeit „wider das Vergessen“ fortsetzen, wie sie schon in Alsbach durch die Verlegung von „Stolpersteinen“ begonnen wurde. Auf höchst anschauliche Weise ist es den Vereinsmitgliedern gelungen, das verfügbare Material aufzubereiten. In einer beeindruckenden Inszenierung und Rauminstallation gewinnt das fotografische Werk von Klaus Dieter Böhm Lebendigkeit. Die Texte der Exponatenerläuterungen verfasste größtenteils Nicole Rieskamp, die auch den gedanklichen Anstoß zu der Ausstellung gab. Der eigene Bestand belief sich auf wenige Stücke: Matrikelbücher und Sterberegister aus dem 19. Jhd., ein Bild von Leo Leonhardt mit dem Friedhof als Motiv sowie nie in Angriff genommene Pläne zur architektonischen Umgestaltung. Dennoch gelang es mit diversen Ergänzungen in Wort und Bild auch der Geistesgeschichte Gestalt zu geben.
Die Gastredner waren sich in ihren Grußworten zur Eröffnung einig, dass dem Verein mit leidenschaftlichem Engagement ein dankenswertes Resultat gelungen sei. Eindringliche Worte fand Daniel Neumann vom Landesverband jüdischer Gemeinden in Hessen. Er mahnte, dass der Friedhof mit seinen „400 Jahren in Stein gegossener Geschichte“ zugleich eine gänzlich verlorene Welt markiere. Die Sehnsucht und das Hoffen der jüdischen Bevölkerung auf Gleichberechtigung, friedvolle Koexistenz mit anderen Teilen der Bürgergemeinschaft und respektvolle gegenseitige Anerkennung habe sich als fatale Illusion erwiesen, die im Untergang der jüdischen Welt kulminierte. Eine Fortführung der Kultur in der Reichhaltigkeit der damaligen Tradition sei auch heute trotz wiedererstarkender Behauptung jüdischer Gemeinden nicht möglich. Desto wertvoller sei es, jede Gelegenheit zum Innehalten und „Erinnern aus Distanz“ zu ergreifen, wie beim Besuch der Ausstellung. Was gäbe es da noch mehr zu wünschen als: „Masl tov!“

