Alsbach-Hähnlein

Christine Wagner Kunstfreunde BergstraßeAnekdoten zur Medizin sowie einen unterhaltsamen Streifzug durch deren Geschichte unternahm Christiane Wagner im Rahmen ihres Vortrages „Dr. Eysenbarth und die verkohlte Gräfin“ im Bürgerhaus Sonne in Alsbach.
12. April 2013 

Kuriose Mittel der Wahl zwischen Wissenschaftsneugier und Patientenqual

Kunstfreunde Bergstraße mit Lesungen von Christine Wagner über Ungeheuerlichkeiten der Medizinhistorie

ALSBACH (pem), „Humanmedizin“ der Begriff bekommt einen düsteren Beiklang: Die Heilkunst am Menschen kann auch bedeuten mit „menschlichen“ Mitteln zu behandeln, Ingredienzien des Körpers, aus dem Organismus gewonnene Substanzen und Skelettteile kommen zum Einsatz. In Mixturen zur inneren und äußeren Anwendung: der Wissenschaftsfantasie, dem Forschungstrieb wie auch der alchemistischen Quacksalberei schienen in früheren Tagen kaum Grenzen gesetzt.

Man munkelte, ein abgeschlagener Daumen bringe Glück und Gesundheit, das „Schädelmoos“, das sich nach einiger Zeit auf den Häuptern der Galgenleichen bildete, war begehrtes Heilmittel. Streng hüteten die Pharmazeuten die Rezeptur für das „Axum humanum“ oder Armsünderschmalz. Zulieferer war wie so oft der Scharfrichter. Als höchste Kostbarkeit, der die Firma Merck 1924 sogar ein vor Fälschung sicherndes Qualitätssiegel verlieh, galt die lebenskonservierende Paste „Mumia“.

Noch vor 152 Jahren geschah es in Hanau, dass das Blut eines Geköpften aufgefangen und als Trunk zu Linderung der Epilepsie gereicht wurde. Da lief es selbst im gut geheizten Eduard-Schmid-Saal des Bürgerhaus Sonne schon manchem eiskalt den Rücken hinunter! Christine Wagner präsentierte Wissenschaftsgeschichte mit Gruseleffekt. Sie tat das nicht, um der Hörerschaft unterschwellig zu suggerieren, wie gut es uns gegenüber früheren Epochen ginge. Im Gegenteil erhellte sie die dunklen Seiten der Medizin so, dass einem ein Licht aufging: trotz Perfektionierung und Technisierung sind uns die Strukturen mancher Ungeheuerlichkeiten gar nicht so fern.

Vom schwunghaften Leichen- und Exekutionsopferhandel bis zum Auftragsmord wagte sie einen gedanklichen Brückenschlag zum in Misskredit geratenen „Organ harvest“ (wörtlich Organ Ernte). Natürlich haben sich die Hygienebedingungen verändert gegenüber den Anfängen der ungesäuberten Hospitäler mit Fünferbelegung pro Bett, mehr Infektionsquelle als Ort der Heilung. Doch mit Viren der resistentesten Art liegen selbst modernste Kliniken noch im Kampf.

Christine Wagner bedient keine platte Sensationslüsternheit, obwohl sie mit fachkundigem Griff Fakten mit Unterhaltungswert wählt. Medizingeschichte ist ihre persönliche Passion, stellt zugleich einen Schwerpunkt ihrer journalistischen Tätigkeit als Redakteurin und Moderatorin des Hessischen Rundfunks dar. Die Beschäftigung mit Brauchtum, Volksglauben und Grauzonen der Legalität lenken ihre Kreativität noch in andere Richtung.

Zusammen mit ihrem Mann veranstaltet sie auf Burg Fankenstein kriminologisch-literarische „Event-Dinners“. Die Studien der Romanistik und Anglistik gaben ihr reiches Material an die Hand, so dass sie auch der Alsbacher Hörerschaft viele reizvolle Beispiele schriftstellerischen Schaffens als Belege der Auseinandersetzung mit Krankheiten anführte oder persönliche Betroffenheit der Autoren in Beziehung brachte.

Mit besonderem Interesse nahm das Publikum die lokalen Bezüge auf. Die dubiose „Selbstentzündung“ der Darmstädter Gräfin Görlitz, die sich im Indizienprozess allerdings nicht als medizinisches Phänomen, sondern als Mordanschlag des Dieners erwies. Oder der Darmstadt Besuch des legendären Dr. Eysenbarth, der die Leute sehr wohl auf seine Art zu kurieren wusste, denn er verstand sich nicht einmal schlecht auf das Stehen des grauen Stars.

Mit angeregtem Interesse folgte die Hörerschaft der Zeitreise durch die Jahrhunderte und ließ sich durch den Themenkreis führen wie „die schlimmsten Krankheiten als Geißel der Menschheit“, „von Scheintoten und Wiedergängern“, „über das Handwerk der Bader und Quacksalver“Christiane Wagner lieferte mit ihrer Präsentation einen wertvollen und beachtlichen Erfolg zu der noch jungen Veranstaltungsreihe „Kunst und Literatur“, die „die Kunstfreunde Bergstraße“ initiierten.

Der Vorsitzende Dr. Benno Wölfel nutzte die Gelegenheit, um auf weitere interessante Lesungen im Jahresprogramm hinzuweisen und bereits zur nächsten Lesung einzuladen in der Mathias Gröbel über den Jugendstilkünstler Daniel Greiner spricht.

Foto: Stefan Oelsner