Zwingenberg und Rodau

Präzision und Konzentratition fordert die Arbeit an einem Kupferstich. Foto: Berno Nix
18. Juli 2013 

Bildideen bis unters Barett

Der Zwingenberger Künstler Erich Stahl lässt die Kreativität in verschiedenen Techniken mit gleicher Perfektion sprudeln

ZWINGENBERG, Juli 2013 (pem), Zum „Film des Lebens“ fügten sich unendlich viele Eindrücke. Wie viele der inneren bewegten Bilder drängen noch danach, als bewegende Werke vom Künstler zur Welt gebracht zu werden?

Erich Stahl wird der Inspirationsfülle kaum Herr, selbst aus der frühsten Vorkriegs-Kindheit im französisch-luxemburgisch-deutschen Dreiländereck sind Erinnerungen sehr präsent. Als fertige Bildvision entstehen Unmengen von Motiven schon vor seinem geistigen Auge. Er braucht sie nur noch in Kupfer zu stechen, in Linoleum zu schneiden, auf Leinwand zu Malen oder Zeichenblöcke und Skizzenbücher damit zu füllen.

„Ein Tag ohne Arbeit ist ein verlorener Tag“ der 82-Jährige teilt Picassos Leitspruch, der neben vielen anderen Gedanken-, Privatphilosophie- und Aphorismenzetteln über dem Arbeitstisch in seinem Atelier hängt. Der größte Raum des Hauses in der Zwingenberger Scheuergasse, das er nach eigenen Vorstellungen ausgebaut hatte, ist sein Reich der Inspiration, des Schaffens und wird auch als Lager für die teils sehr großformatigen Werke benutzt.

Erich Stahl liebt und lebt Kunst, amüsiert sich mit ihr und gibt darin seiner kritisch-ironischen Weltsicht Ausdruck. Von der Pike auf lernte er in seinem saarländischen Heimatort Mettlach das Handwerk des Kupferstechens und verdiente nach dem Studium an der Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken als „Allroundgraphiker“ seinen Unterhalt.

Er denkt gerne zurück an die gute Lehre, die ihm zunächst vorbildhaft den Weg in die Kunstszene öffnete, doch bald gelang es ihm, sich zu lösen. Stets blieb er an allen Entwicklungen im modernen Produktionsbetrieb interessiert, pflegte viele befruchtende Kontakte und Freundschaften zu anderen Künstlern. Doch bei allem offenen Austausch brachte ihn nichts von der Entwicklung seines originellen und individuellen Stils ab. Mit gleicher Hingabe und Perfektion, mit dem ihm eigenen Esprit und Witz erfüllte er die Werbeaufträge und widmete sich weiter konsequent seinem persönlich-poetisch-kritischen Schaffen.

Für seine außerordentliche Kreativität genügten bald nicht einmal mehr die traditionellen Herstellungsverfahren. Erich Stahl revolutionierte die Drucktechnik und kreierte neue Methoden: Beim Etagendruck wird auf der eigentlichen Druckplatte das aus einer anderen Druckplatte ausgefräste Motiv aufgelegt, so dass sich beim Druck auf den Ebenen unterschiedlich intensive Färbungen und Prägungen ergeben.

Auf diese Weise treibt er sein reizvolles Spiel mit formaler Perspektive und inhaltlicher Wertigkeit. In der richtigen Hand wird auch ein Stück Sisalschnur zum Kunstproduktionsmittel – in Tusche getaucht entstehen damit seit 1959 eigenwillig expressive Zeichnungen.

„Ich kann alles verwenden“, versichert er charmant mit schalkhaftem Lachen, denn er amüsiert sich selber über „all dat Zeuch, wat isch so jemacht han“.

Wunderbare „Blindteile“ (auf Druckplatten gelegte Applikationen) geben 15 Jahre lang platt gefahrene Kronkorken ab. Ganz eigenen Zauber entfaltet der Gazestoff, mit dem man Überschussfarbe von den Platten entfernt. Er wandelt sich zu feenhaft grazilen Figuren in „Fetzenbildern“. Die unbeschreibliche Stahl-Präzision springt dem Betrachter seiner Farbstiftzeichnungen ins Auge: was von Ferne wie ein „geschummerter“, gewischter zarter Übergang zwischen Flächen wirkt, ist in Wahrheit ein Teppich aus vieltausendfacher Strichelei. Den Stift setzt er ein; wie in den Stichen die feinsten Punziereisen für die punktierten oder fein linierten Licht-Schatteneffekte.

„Nur wer das Handwerk exzellent beherrscht, ist reif für den künstlerischen Ausdruck“. Sein Credo beweist Stahl selbst. Die größte Anerkennung seiner enormen Technikqualität erfuhr er durch die Aufnahme einiger Werke in die Nürnberger Albrecht-Dürer-Stiftung. In allen Techniken tauchen Darstellungen von Menschen und Bäumen auf: „Die Natur braucht uns nicht, wir sollten unsere Überheblichkeit aufgeben“, mahnt Stahl damit. Unter dem Universum skurriler und bizarrer Figuren findet sich stets eine Variation des „Flatter“: Der geflügelte Lachmund stellt als Beobachter ein symbolisches Selbstbildnis dar. Humor und feinsinniger Witz kennzeichnen Stahls Lebenshaltung, denn „die Welt ist so verrückt, dass man sie am besten mit Lachen erträgt.“ Die Welt zeigt kaum Änderungen zur Vernunft. So werden den Künstler weiter Ideen anfüllen bis unter das Barett, das sein in Zwingenberg bekanntes, unverwechselbares Markenzeichen ist. Der Zukunft sind viele Stahl-Werke sicher.

Alle Fotos: Berno Nix
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