„Es war einmal…“
Die Sonderausstellung „Märchenwelt der Brüder Grimm“ ist die April 2016 im Bickenbacher Heimatmuseum zu sehen
BICKENBACH, Dezember 2015 (pem), Für die Verdienste um die Kinderlektüre in die Literaturgeschichte einzugehen, hätten sie sich nicht träumen lassen. Dass ihre Namen in jedermanns Bewusstsein untrennbar mit Märchen verbunden sein würden, ebenso wenig. Jacob und Wilhelm Grimm waren vor allem Wissenschaftler. Als Philologen hatten sie die Sprache zu ihrem Forschungsgegenstand erwählt. Erst mit dem zweiten Gedanken besinnt man sich auf ihre Meriten für die Germanistik, ihre erfolgreichen Bemühungen um die Systematisierung der deutschen Sprache und ihre unermüdliche Arbeit an einem Wörterbuch. Die als Institution des freien und fortschrittlichen Geistes bekannte Marburger Universität bot ihnen den geeigneten Rahmen für ihre Forschung. Hier kam es auch zu dem bedeutungsvollen Kontakt mit Clemens von Brentano. Durch ihn gerieten sie in Berührung mit dem Kreis der jungen literarischen und künstlerischen Romantiker und erhielten Einblick in deren modernes Gedankengut. Die Besinnung auf die Schönheit der Natur, das einfache, ländliche Leben, die Wiederentdeckung von Brauchtum, „Volksseele und -poesie“ bildete die Grundlage für die dann oft schwärmerisch verklärende Auseinandersetzung in eigenen Werken.
Dem Streben nach der „Rückkehr zu den Wurzeln“ kam ihrem Drang zur philologischen Grundlagenforschung entgegen. Frei vom romantisierenden Duktus behielten sie den kühlen wissenschaftlichen Blick. In den Märchen erkannten sie einen wahren kulturellen Hort: archetypische Bilder dienen als Grundlage, so dass sich eine lange Motivgeschichte verfolgen lässt. Märchen sind wertvolle Zeugnisse der mündlichen Tradition, so dass auch den regionalen und lokalen Variationen der sprachlichen Wiedergabe das Interesse der Grimms galt. „Es war vielleicht gerade die Zeit, diese Märchen festzuhalten, da diejenigen, die sie bewahren sollten, immer weniger wurden.“ Das schien ihnen Anlass genug, um sich vor allem im Raum um Kassel intensiver Sammlertätigkeit hinzugeben. Sie verpflichteten sich selbst zu „Treu und Wahrheit der Wiedergabe“, also zum Verzicht auf eigene Ausschmüc-kungen oder Interpretationen. Aus der Resonanz auf das erste Erscheinen einer zweibändigen Ausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“ entwickelte sich im Laufe der Zeit eine bis heute fortdauernde globale Erfolgsgeschichte.
Mit dem bewährten Engagement der Mitarbeiterinnen des Bickenbacher Museumsvereins entstand im Kolb´schen Haus eine Sonderausstellung, die einerseits vergnügliche Kindheitsnostalgien weckt, andererseits mit reichen Hintergrundinformationen dem Besucher unvertraute Seiten zeigt und neue Aspekte in den Märchen verdeutlicht. Die Präsentation mit der entsprechenden Auswahl der Exponate ist maßgeschneidert für die räumlichen Gegebenheiten. Die Kasseler „Brüder Grimm Gesellschaft“ hatte das Konzept genau abgestimmt. Einzelne Märchen bilden den Themenschwerpunkt. Buchausgaben und Illustrationsblätter aus verschiedenen Epochen geben Einblick in den Wandel künstlerischer Gestaltung. Spiele und Gebrauchsgegenstände verweisen auf den Einfluss und die erweiterte Nutzung der Märchenmotive. Vom Papiertheaterbogen über Puzzel- und Rechenspiele bis zum „Pop-up-Buch“. Zum Teil mit Requisitenleihgaben des Staatstheaters Darmstadt haben die Mitarbeiterinnen Vitrinen dekorativ gestaltet und Szenarien zusammengestellt. Was wäre aber eine Märchenausstellung ohne das gesprochene Wort? Schon häufig war man Partner der museumspädagogischen Aktivitäten, die Leiterin Beate Hunfel gerne an der Hans-Quick-Schule pflegt. So besteht schon für die Klassen ein Besuchsplan. Zu der Visite gehört die Nutzung der (Vor-)Leseecke. Wenn nicht die Lehrerinnen selber es tun, schlüpfen mit Talent und Begeisterung auch gerne die Museumsdamen in die Rolle der „Märchentante“.
Wer dem trauten „Es war einmal-Gefühl“ der Kindertage nachhängen mag oder sich einmal mit den höchst interessanten motivgeschichtlichen Erkundungen befassen möchte, hat Gelegenheit dazu bis April 2016. Das Kolb´sche Haus ist sonntags von 15 bis 17 Uhr geöffnet.

