Ganz Ohr für Geräuschkulisse
Mit einem Einführungsvortrag und einem Dezibelmessungs-Spaziergang informierte die TU Darmstadt anlässlich des „Tages gegen Lärm“
DARMSTADT, Mai 2013 (pem), „Als störend wird Musik empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden ist!“, spöttelt Wilhelm Busch darüber, dass akustische Reize oft einfach Geschmackssache sind. Zum häufigsten Streitpunkt wird aber ihre Intensität. Ab welchem Punkt ein Geräusch als unangenehm registriert wird, ist nicht zuletzt Nervensache.
„Lärm ist das am meisten unterschätzte Phänomen unter den Umwelteinflüssen. Dies mag auch die TU Darmstadt zu einer Publikums orientierten Veranstaltung zum „Tag gegen Lärm“ angeregt haben. Interessierte Bürger waren eingeladen zum Spazieren auf einem akustischen Erlebnisparcours. Anhand der Ausschläge eines sensiblen Dezibelmessgerätes ließen sich selbst kleinste Veränderungen zusätzlich optisch wahrnehmen.
Der Rundkurs führte von der Ruhe der Unibibliothek und der gedämpften Gesprächslautstärke des Foyers durch die halligen Gewölbegänge des alten Gebäudes, hinaus in den Herrengarten. Zur Verwunderung der meisten Teilnehmer herrscht dort weniger Stille als gedacht.
Zu der ständig bestehenden Hintergrundgeräuschkulisse addierten sich z.B. Schutzblechklappern, Kinderlachen oder Vogelgezwitscher markanter, als vermutet. Durch den kontinuierlichen Klangteppich der Stadt werden einzelne, kurze akustische Impulse „maskiert“, man empfindet sie weniger deutlich, als würde man damit aus absoluter Stille heraus konfrontiert.
Die verkehrsreiche Kreuzung an der Frankfurter Straße brachte Spitzenwerte auf die Dezibelskala und sensibilisierte nochmals für die zunehmende Belastung des Wohlbefindens bei längerer Dauer. Den praktischen Demonstrationen beim Spaziergang war die theoretische Einführung durch Fachleute vorausgegangen. Aus dem Blickwinkel ihrer Spezialgebiete umkreisten das Phänomen Lärm die Referate von Birgit Kretzschmar, Leiterin des Umweltamtes und Harry Korn, zuständig für das Kartierungswesen innerhalb des Vermessungsamtes.
Dr. Joachim Bös vom Fachbereich Maschinenakustik an der TU Darmstadt machte mit der grundsätzlichen Problematik vertraut: „Es existiert keine absolute Definition für Lärm“. Verbindliche Kriterien und Grenzwertfestlegungen zur Unterscheidung von tolerablen Geräuschen und belästigendem Lärm fehlen. Individuelle Faktoren bewerten. Die Störung ist heftiger in müdem oder geschwächtem Zustand, bei Konzentration fordernder Tätigkeit oder wenn man, sich als „handlungsunfähiges Opfer“ der Ohrattacke betrachtet. Hochfrequente und ungleichmäßige Geräusche stellen die unangenehmste Beeinträchtigung dar. Je länger und je stärker der Schall, desto schlimmer. Ein komplexes Forschungsfeld bietet die gesundheitliche Auswirkung.
„Akute Schädigungen könnten z.B. durch Knalltraumata auftreten, was nur im Rahmen eines Unfalls denkbar ist“, erläuterte Dr. Bös. „Die Dauerbelastung verursacht eher körperliche Stress – Reaktionen der wie Herz-, Kreislauf- und Gefäßproblematik.
Zu diesen feinstofflichen Veränderungen begünstigen akustische Belastungen noch den natürlichen Alterungs- und Degenerationsprozess des Hörorgans.“ Folglich sehen sich Forschung und Wissenschaft durchaus in die Pflicht genommen: „Es geht ja nicht um Naturgeräusche. Der Lärm kam mit der Technik in die Welt. Also hat sie auch Sorge dafür zu tragen, dass er mindestens auf das verträglichste Maß reduziert wird“, so Dr. Joachim Bös. Das Entstehen seines Fachbereichs Maschinenakustik, ist ein Beispiel dafür. Durch Optimierung von Materialien oder Arbeitsprozessen sucht man nach bestmöglichen wirtschaftlichen und ökologischen Lösungen.
Trotz der Einblicke gilt immer noch die Faustregel die erholsame Waldesruh zur Entspannung zu suchen. Was die Musikfreunde betrifft, sei ihnen John Cage ans Herz gelegt: „4,33“ heißt das Stück, und gibt damit die Zeit an, in der darin nur Stille stattfindet.
Alle Fotos: Petra Emmerich
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