Zwingenberg und Rodau

Kostenlose Grüße können Wanderer des Nibelungensteigs künftig in alle Welt versenden. Unser Foto zeigt Bürgermeister Dr. Holger Habich (re.) zusammen mit Praktikant Marcel Tasca und Mika Raenker. Foto: soe
05. März 2021 

Gratis-Briefkasten: Sagenhafte Grüße aus Zwingenberg

Am Einstieg zum Nibelungensteig hat die Stadt eine neue „Poststelle“ eröffnet

ZWINGENBERG, März 2021 (pes), Es kommt nicht allzu häufig vor, dass die Stadt den Bürger mit Gratis-Nummern verwöhnt. In Zwingenberg ist das anders. Zwar geht es dabei lediglich um 60 Cent – aber immerhin. Wer in den Briefkasten am Einstieg zum Nibelungensteig eine Ansichtskarte mit Zwingenberg-Motiv einwirft, die es vor Ort ebenfalls kostenlos gibt, schickt einen sagenhaften Gruß aus dem ältesten Bergstraßenstädtchen nach Hause, zu Freunden oder sonst wohin. Ein besonderer Service. Und eine besondere Werbung für den zertifizierten Qualitäts-Fernwanderweg, der von Zwingenberg über 130 Kilometer durch drei Bundesländer bis nach Freudenberg am Main führt.

Die ersten Karten sind längst bei ihren Empfängern angekommen. Bereits seit Anfang Dezember ist die spezielle Poststelle sozusagen in Betrieb. Die Grüße gingen ebenso Richtung Berlin wie in den Ortsteil Rodau oder in die Alsbacher Nachbarschaft, wie Bürgermeister Dr. Holger Habich bei der offiziellen Einweihung mitteilte. Und wenn jetzt einer mit dem Briefgeheiminis kommt: Erstens gilt das nur für verschlossene Mitteilungen, und zweitens hat der Rathauschef beim Termin in der frisch verschneiten Altstadt ja auch nur die Zielorte genannt.

Auf Habich geht auch die Idee zu dem außergewöhnlichen Postfach zurück. Der Arbeitskreis Cittaslow und der Förderkreis Kunst und Kultur haben den Impuls dankbar aufgenommen, hieß es. Von deren Vorsitzenden Ulrike Fried-Heufel stammt auch das benachbarte Kunstwerk, das im Sommer eingeweiht wurde: Mit einem mannshohen „N“ aus drei Zentimeter dickem Cortenstahl hat die lokale Künstlerin in vielfacher Hinsicht ein Zeichen gesetzt. An den beiden Vertikalen des Buchstabens sind in stilisierter Form Siegfried und Kriemhild montiert.

Die sagenhaften Figuren aus dem Nibelungenlied zeigen in ihrer schmalen Silhouette aus rostrotem Stahl deutlich die Handschrift der Erschafferin. Sie sind abstrahierend angedeutet, aber unmissverständlich in ihrer Klarheit. Erkennbar sind die Sagenhelden lediglich an ihren spezifischen Merkmalen. Siegfrieds überdimensionierte Lanze, die den Drachen Fafnir tötete, zeigt sich als ästhetische Parallele zum diagonalen Mittelteil des Buchstabens. Kriemhilds höfisches Gewand lässt sich bestenfalls erahnen. Die kegelförmige Kopfbedeckung, ein sogenannter Hennin, verweist auf das Mittelalter. Die schlanke, bisweilen organisch fließende Struktur der Körper verweist auf die vegetabilen Formen der Natur, wie sie beispielsweise in Ästen und Zweigen erkennbar ist. Die weichen weiblichen und die herberen männlichen, eher kantigen Formen, stellen den Zusammenhang her.

Das Doppelprofil der beiden Silhouetten blickt in die Ferne Richtung Rhein. Nach Angaben von Ulrike Fried-Heufel kann diese Parallelität als symbolisches Zeichen für die zeitliche Dimension des mittelhochdeutschen Heldenepos’ verstanden werden, das als schriftliche Fixierung der weitaus älteren Sage etwa um das Jahr 1200 entstanden war. Die Vergangenheit trifft die Gegenwart an einem Ort, der unmittelbar mit der Erlebbarkeit einer Region verbunden ist, die heute als Nibelungenland touristisch vermarktet wird. Handwerklich umgesetzt wurde das Objekt vom Modautaler Metallbauer Rudolf Müller.

Für den Briefkasten zeichnen zwei junge Akteure verantwortlich: Der Entwurf stammt von dem Karl-Kübel-Schüler Marcel Tasca, der momentan ein Praktikum im Rathaus seiner Heimatstadt absolviert: Eine Holzkonstruktion mit Metallbeschlag auf dem Deckel.

Zweiter im Bund ist Mika Ränker (15), ein Praktikant bei der örtlichen Schreinerei Holzart. Er hat das Objekt mit Unterstützung der Geschäftsleiter Tobias Nowack und David Wedel gebaut. Und der Stadt gespendet.
Mindestens einmal im Monat soll der Kasten geleert und der Bestand aufgefüllt werden, so Holger Habich. Die Postkarten wandern dann ins Rathaus, wo sie frankiert und weiter zu den professionellen Briefbeförderern gebracht werden. Der Absender freut sich über einen kostenlosen Service – und die Empfänger über eine authentische Nibelungen-Post made in Zwingenberg. Zu finden ist das gute Stück am Fuße des Melibokus am oberen Ende der Wetzbach, Ecke Lange Schneise und „Auf dem Berg“.

„Es wäre toll, wenn wir auch Freudenberg mit ins Boot nehmen könnten“, so der Bürgermeister über die weiteren Pläne. Der Nibelungensteig führt durch Hessen, Bayern und Baden-Württemberg und vereint kulturelle sowie landschaftliche Sehenswürdigkeiten. Mit über 4.000 Höhenmetern führt der Steig über die Höhen und Täler des Odenwaldes. Eine sportliche Herausforderung, aber auch ein sinnlicher Genuss: geologische, naturräumliche und kulturhistorische Impressionen reihen sich beinahe nahtlos aneinander. Die erste Etappe, von Zwingenberg beginnend, reicht knapp 30 Kilometer bis nach Lindenfels. Aber vor dem Aufstieg: Kartenschreiben nicht vergessen!