Seeheim-Jugenheim, Sport

Mit einer Rennmaschine des Typs Cannondale SystemSix Ultegra ist der 28-jährige Sportler bestens ausgestattet. Foto: Jonathan Both
13. Juni 2021 

Nonstop mit dem Rad von München nach Jugenheim

Jonathan Both strampelt 300 Kilometer bis in die alte Heimat

JUGENHEIM/MÜNCHEN, Juni 2021 (pes), Jonathan Both ist in Seeheim geboren. Seit einigen Jahren arbeitet er bei der Telekom in München.

Natürlich möchte man gelegentlich mal die Eltern in der alten Heimat besuchen. Also fuhr der Junior zu Ostern einfach los. Mit dem Fahrrad. Aber nicht mit irgendeinem. Mit einer Rennmaschine des Typs Cannondale SystemSix Ultegra war der 28-jährige Sportler bestens ausgestattet. Auch Fitness und Ernährung haben gestimmt. Doch das wichtigste für den 360-Kilometer-Trip waren weder Ausrüstung noch Muskeln oder Futter, sondern der Kopf. „Man muss sich Zwischenziele setzen“, sagt der Ausdauersportler. „Langdistanzen sollte man in kleine Etappen aufteilen, auf die man sich freuen kann.“ Sonst türmen sich hunderte von Kilometern und Steigungen zu einem massiven virtuellen Berg auf, der psychisch wacklige Exemplare schon vor dem Losfahren in die Knie zwingen könnte.
Jonathan Both hatte Erfolg. Er hat die Corona-Zeit genutzt, um sich vom geübten Radfahrer in einen Ultralangstreckenathleten zu verwandeln. Mit viel Disziplin, harter Arbeit und einem präzise getakteten Trainingsplan. „Sonst wird es schwer“, so der junge Mann, der gerne von den Besten lernt: Sean Conway, Nicole Reist oder Jonas Deichmann heißen die prominenten Extrem-Biker und Ausdauer-Freaks der Szene. „Vor diesen Ausnahmeathleten habe ich nun noch mehr Hochachtung als zuvor.“

Rückblende. Ein halbes Jahr vor Ostern. Nach einer 150-Kilometer-Etappe auf einer Rennradtour von Kufstein bis nach Verona im letzten September fragt sich ein ambitionierter Sportler: Wie viel schafft mein Körper wohl an einem Tag? Was muss man investieren, um 200 oder gar 300 und mehr Kilometer in 24 Stunden auf dem Sattel zurücklegen zu können. Während er durch die malerischen Dolomiten rollt, läuft auch das Kopfkino auf Hochtouren. Jonathan Both erkennt, dass alle großen Vorbilder ein gemeinsames Erfolgsmuster aufweisen: die richtige Mentalität, ein klar definiertes Ziel und ein sorgsam abgestimmtes Training, um punktgenau fit zu sein.

Die Suche nach einem passenden Komplizen erübrigt sich. Bruder Joshua ist Fitnesstrainer in Bensheim und auf Alltags-Athleten spezialisiert. Infos: www.pt-both.de. Er hat ihn bereits auf dem Weg zum Marathon unterstützt. Jetzt geht es um die Vorbereitung auf ein Ultralangdistanzrennen, das der Wahl-Münchner für 2022 anpeilt. Als Eintritt in eine neue sportliche Umlaufbahn.

Im Winter steigt Jonathan Both entweder auf das Rad oder in die Laufschuhe. Er verbessert seine Halbmarathonzeit auf eine Stunde und 29 Minuten, studiert Erfahrungsberichte in Fachmagazinen und im Internet. Mit Blick auf die Urlaubsplanung entscheidet er sich schließlich unter mehreren Optionen – darunter die Strecke München-Prag – für den Trip Richtung Bergstraße. Die ist ähnlich lang und bietet zudem die Chance auf ein Familientreffen. Der Termin wird fixiert, doch Bruder Joshua ist skeptisch: es bleiben nur fünf Wochen Trainingszeit. Zumal der Protagonist ja auch noch einen Vollzeitjob hat. Und sechs Tage die Woche auf dem Fahrrad – das muss man erst mal durchziehen.

Februar und März sind kalt und nass. Doch die teils nächtlichen Einheiten bei Gegenwind, Frost und Regen stählen den Sportler. „Rückblickend war das eine enorm wichtige Erfahrung“, so Jonathan Both, der während dieser Phase oft bis nach 22 Uhr oder vor Morgengrauen in die Pedale getreten hat. Die einzelnen Einheiten waren machbar, sagt er, doch die Dauerbelastung hat Körper und Geist beansprucht. Das fokussierte Prinzip, immer nur das Tagestraining im Visier zu haben, sei letztlich ausschlaggebend für die psychische Stabilität gewesen.

Der maßgeschneiderte Trainingsplan vom Bruder bestimmt die Dramaturgie: Intensität, Ernährung und Belastung sind die Größen, an denen sich der Sportler konsequent orientiert, der seit über zwei Jahren vier bis fünf Mal die Woche laufen geht. Die Basis war vorhanden.
Eine Woche vor dem Start fährt er Richtung Lenggries und um den Walchensee zurück in die Landeshauptstadt. Rund 180 Kilometer. Eine letzte Generalprobe außerhalb des eigentlichen Trainingsprogramms. Start um drei Uhr früh. „Ich wollte ausprobieren, wie mein Körper reagiert, wenn ich aus der Nacht in den Tag hinein fahre.“

Dann ist es soweit. Um halb drei klingelt der Wecker, eine halbe Stunde später fährt er los. Das Wetter entscheidet sich gegen ihn. Knapp über null Grad und mörderischer Gegenwind aus Nordwesten. Kurz hinter Augsburg geht die Sonne auf. Alle 15 Minuten wird getrunken, um dem körperlichen Alarmsignalen zuvorzukommen und ständig optimal versorgt zu sein, ohne dass die Blase drückt. Alle halbe Stunde gibt es Kohlenhydrate, meistens in Form von Powerriegeln.

Die Landstraßen sind leer. Es wird etwas wärmer und die Musik im Ohr macht Laune. Der Rhythmus stimmt, das Durchschnittstempo liegt knapp über 23 Stundenkilometern. Die konstante, langgezogene Steigung ab Heidenheim macht Jonathan Both zu schaffen. Das Streckenprofil ist fies. Und der Wind kommt weiterhin von vorn. „Ich mag lieber knackige und kürzere Aufstiege.“ Unterwegs trifft er seine Brüder Joshua und Benjamin. Das stärkt die Motivation. Während Joshua auf dem Rad mitfährt, begleitet Benjamin das Duo ab Kilometer 230 mit dem Auto. Leider sorgt ein schleichender Plattfuß bereits ab Kilometer 250 für ein vorzeitiges Ende nach knapp über 300 Kilometern und insgesamt 2310 Höhenmetern auf dem Rennrad.

Die große Frage, ob man als Amateur eine solche Distanz packen kann, beantwortet er heute mit einem klaren Ja. Viel würde er nicht anders machen: „Man lernt Langstrecke nur auf der Langstrecke“, so Jonathan Both, der sich bei kommenden Ultra-Distanzen aber noch länger vorbereiten will. Auf seiner Tour in den Norden hat er seine persönlichen Grenzen verschoben – im Körper ebenso wie im Kopf. Nächstes Ziel: der Ironman-Triathlon in Frankfurt.