Darmstadt

Aufgenommen in das Weltdokumentenerbe „Memory of the World“ wurde die goldenen Bulle Kaiser Karls IV. aus dem 14. Jahrhundert, aus der Sammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt. Foto: Stefan Oelsner
20. September 2013 

Purpurgold auf Prachtpergament

Die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt präsentiert Glanzlichter des Handschriftenbestandes aus Anlass der Aufnahme der „Goldenen Bulle“ in das UNESCO Weltdokumtenerbe

DARMSTADT, September 2013 (pem), Ihnen ohne trennendes Vitrinenglas nahe zu kommen, ruft schon Herzklopfen hervor. Sie zu berühren, mit Samthandschuh und sanfter Andacht eine Seite umzublättern, bleibt nur befugten Mitarbeitern vorbehalten. Den Versicherungswert der kostbaren Handschriften veranschlagt man mit rund zehn Millionen Euro, unschätzbar aber ist ihr immaterieller Wert aufgrund ihrer höchsten kunsthistorischen Bedeutung. In digitalisierter Form sind die Werke zu Forschungszwecken jedermann zugänglich.

Gleich mehrere Anlässe kamen zusammen, die die ULB dazu anregten einen unverstellten Blick auf einige Glanzlichter zu gewähren. Den Hauptgrund stellte eine Auszeichnung der UNESCO dar. Die Darmstädter Ausgabe der „Goldenen Bulle“, des Reichsgesetzes Kaiser Karls des IV. von 1365, wurde aufgenommen in das „Memory of the World“ (Weltdokumentenerbe).

Diese Ehre war dem „Gero-Codex“ bereits zehn Jahre zuvor widerfahren, so dass dieses Jubiläum einen weiteren Würdigungsgrund bildete. Zum Dritten freuen sich der leitende Bibliotheksdirektor Hans-Georg Nolte-Fischer und sein Mitarbeiterstab über den Umzug der Institution und die Eröffnung der neuen Räumlichkeiten vor einem halben Jahr. Damit verbanden sich Optimierungen der Arbeits- und Nutzermöglichkeiten. Besonders zufrieden ist man aber mit den Verbesserungen der Verwaltung und Lagerung der sensiblen Bestände. Jahreszeiten unabhängig sind konstante Luftfeuchtigkeit von 50% und eine Raumtemperatur von ca. 18 Grad gewährleistet. Der Brandschutz hält eine spezielle Argongaslöschanlage vor und die übrigen Sicherungsmaßnahmen erfüllen höchstes Niveau.

Die ULB verfügt über ein beachtliches Volumen an historischen Handschriften, Inkunabeln, Plänen und Kartenmaterial. Von den rund 3600 Bänden stammen etwa 1100 aus dem 16. Jahrhundert, was Darmstadt zur größten Barockliteratursammlung Hessens macht. Die wohl gefüllten Regale verdankt das Haus Verkettung glücklicher Umstände. Im Jahr 2000 wurde die Großherzogliche Bibliothek dem Bestand eingegliedert. Der adlige, den Wissenschaften zugewandte Landesherr hatte durch Ankauf für einen respektablen Grundstock gesorgt. Die Säkularisierung, die Aufhebung klösterlicher Besitztümer, bereicherte den wachsenden Schatz. Einen Sonderfall als Bezugsquelle tat sich mit dem Erbe des Barons von Hüpsch auf. Seine Heimatstadt Köln war nicht willens seinem bibliophilen Nachlass adäquate Räume zu widmen. Deshalb entschied der Bücherfreund; sein Vermächtnis nach Darmstadt zu übertragen. Dr. Silvia Uhlemann, Leiterin der Historischen Sammlung, machte mit den Besonderheiten der Prachtexemplare vertraut. Bei der „Goldenen Bulle“ handelt es sich um eine in Buchformgebundene Urkunde. Das anhängende vergoldete Wachssiegl gab den Namen. Das Darmstädter Exemplar war dem Kölner Erzbischof zugedacht. Zum Schutz vor napoleonischen Truppen verwahrte man die Schrift im Kloster Arnsberg von wo aus sie durch die Säkularisierung nach Darmstadt gelangte. 1987 wurde sie restauriert.

Gänzlich ohne Erneuerungsarbeiten blieb der „Gero-Codex“ aus dem 10. Jahrhundert sogar noch mit seinem Originaleinband erhalten. Atemberaubende Pracht schlägt einem aus den Seiten entgegen, von denen keine nicht überbordend verziert ist. Das Evangelistar (die Zusammenstellung der liturgisch genutzten Texte) verhehlt nicht, ein Prestigeobjekt seines Auftraggebers zu sein. Dr. Silvia Uhlemann wies vor allem hin auf die Verwendung teuerster Materialien, den hohen Goldanteil der Schrift- und Schmuckelemente auf Purpurgrund. Das Werk entstand in ca. einjähriger Arbeit im renommierten Reichenauer Skriptorium. Zeitgleich und arbeitsteilig wirkte ein Stab von Mönchen daran, jeder von ihnen spezialisiert auf einen bestimmten Herstellungsschritt (vom Linieren, Schreiben bis zum Illuminieren). Öffentlich wird diese Luxusausgabe demnächst im Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim zu bewundern sein.

Regionalen Bezug hat das „Seligenstädter Evangeliar“, das um 830 im Kloster Lorsch in der von Karl dem Großen verordneten „Reichsschrift“, den karolingischen Minuskeln, hergestellt wurde. Der Metallrelieffeinband ergänzt den kalligraphischen Wert. Das Gladbacher Evangeliar mit origineller Seitensignatur des Klosters sowie das Stundenbuch mit Bildern von Simon Bening rundeten den Eindruck überwältigender pergamentener Prachtfülle ab.