Darmstadt, Fotogalerien

Obada aus Syrien schmeckte der Kirschkuchen. Foto: Eva M. Wicht
10. Oktober 2015 

Von: „Wir schaffen es!“ bis: „Wir haben es geschafft!“ ist es ein weiter Weg

Das von der Stadt Darmstadt angeregte City-Picknick „Diner in bunt“ ermöglichte zwangloses Begegnen in offener und freundschaftlicher Atmosphäre

DARMSTADT, Oktober 2015 (pem), Essen ist menschlich. Nahrungsmittel stellen gleichermaßen die Lebensgrundlage wie auch eine Genussquelle dar. Sie zu teilen bedeutet, die eigenen Bedürfnisse nicht über die eines anderen zu stellen. Wenn Solidarität den Futterneid verdrängt, begegnet man einander beim gemeinsamen Essen im wesentlichen Menschsein. Auf eben diese Wirkung eines starken Zeichens setzte die Stadt Darmstadt bei der Idee, die Bevölkerung und Flüchtlinge an einem Tisch zu vereinen.

Pate standen die beliebten „Diners en blanc“, bei denen an einem spontan bekannt gegebenen Ort jedermann mit mitgebrachtem Essen Gast und Gastgeber zugleich sein kann. So waren die Darmstädter aufgerufen, die viel beschworene Willkommenskultur mit Leben zu füllen, indem sie ein multikulinarisches und – kulturelles „Diner in bunt“ gestalteten.

Aufgrund der enormen Resonanz verwandelte sich die Wilhelminenstraße in eine einzigartige Picknickmeile. Etliche Organisationen und Initiativen, die bereits in der lokalen Flüchtlingshilfe eingebunden sind, waren mit ihren Ständen am Luisenplatz Anlaufstelle für Informationssuchende.

Festcharakter verlieh der originellen Zusammenkunft noch das Rahmenprogramm. Nachmittags vergnügten sich Kinder beim Aktivitätenangebot des Spielmobils, die „After-Diner-Show“ lieferte ein Weltmusik-Reggae-Konzert bevor DJ Kiwi und DJ P.O.M. zum Ausklang bei der Disconacht auflegten.

Oberbürgermeister Jochen Partsch wählte bei seiner eröffnenden Begrüßungsrede deutliche Worte, um klare Position zu beziehen. Grundsätzliche Aussage darin: Wir haben kein Flüchtlingsproblem, sondern eine immense Neubürgerchance. Er bekräftigte, die Situation als Basis kommender positiver gesellschaftlicher Entwicklungen zu betrachten. Menschen, die einer Existenz in Bedrohung, Not und Aussichtslosigkeit zu entkommen suchten, hier zu helfen sei ein Gebot der Menschenwürde, die zu schützen unser Grundgesetz garantiert. Schon deshalb seien alle Bürger aufgefordert, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten dabei einzubringen. Ausdrücklich betonte Partsch, nach einer gewissen Willkommenseuphorie, die Notwendigkeit der Langzeitperspektive und Integration durch Ausbildung und Arbeitsmöglichkeiten. Weit verbreitete Bedenken bezüglich unterschiedlicher Werte und Moralvorstellungen entkräftete Partsch. „Hier gilt das Grundgesetz für jeden!“ Das bedeute, dass sich auch Neubürger an bisher fremde Gedanken wie die Gleichbehandlung der Geschlechter und Toleranz gegenüber alternativen Lebensmodellen wie Homosexualität gewöhnen müssten.

Andere Redner, Vertreter der finanziellen und ideellen Unterstützung der Veranstaltung sowie Repräsentanten der Kunst- und Kulturszene Darmstadt schlossen sich im Wesentlichen seinen Worten an, wenngleich sich auch mahnende Töne hineinmischten: Die Warnung, sich selber allzu sehr im Gutmenschentum zu feiern. Man möge bedenken, dass unser Wohlstand zu einem guten Teil auf dem Rücken der Völker entstanden sei, die sich nun in Bedrängnis befinden, an die wir also eher etwas zurückzugeben hätten. Den Dank an alle ehrenamtlich Tätigen und die engagierte Bevölkerung sprach nicht nur der Oberbürgermeister aus. Mit zahlreichen „Thank you Germany“-Plakaten bedankten sich Syrer, Albaner und Eritreer. Die City erlebte ein wahrhaft kunterbuntes „Tischlein-deck-dich-Event“.
Fingerfood in jeder Form, Salate und Süßspeisen, Kuchen und heiße Getränke, auch mal typisch Hessischer Koch- und Handkäs, Bakhlava neben Bauernbrot, denn mit liebevoll angerichteten Speisen warteten neben den Darmstädter Bürgern jeden Alters ebenso Gruppen bereits hier ansässiger Neubürger auf. Beim radebrechenden Smalltalk in wild zusammengeklaubten Multilingualmix und Bedarfsesperanto kann von wirklichem Kennenlernen natürlich noch nicht die Rede sein.

Aber die heiter, fröhlich-familiäre Atmosphäre der ganzen Veranstaltung bewirkte ihren Erfolg: Einen Rahmen zu schaffen, überhaupt in Kontakt zu kommen, das Aufeinander zugehen ganz praktisch zu üben und Kommunikation anzustoßen.

„Die Flüchtlinge leben im Moment ja doch abgegrenzt und eher schwer erreichbar. Umso schöner, dass wir jetzt hier mittendrin mal ganz zwanglos zusammentreffen“, findet Elisabeth Müller, die an ihrem „Schlaraffenland“ schon viele Nationalitäten zu Gast hatte und auch mit Darmstädtern über das Thema Flüchtling oder Neubürger ins Gespräch kam. „Es macht Spaß und so viel Offenheit fühlt sich wunderbar an. Danke dafür – Darmstadt ist ne tolle Stadt!“

Fotos: Eva M. Wicht
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