Darmstadt

Die Arbeit von Preisträger Thorsten Brinkmann. Foto: André Hirtz
18. Dezember 2020 

11. Tage der Fotografie

Skurrile Fluchten – Spannende Perspektiven in Darmstadt

DARMSTADT, Dezember 2020 (pes), Besser spät als nie: Die 11. Darmstädter Tage der Fotografie wurden wegen der Corona-Pandemie vom Frühjahr in den Herbst verlegt. An der künstlerischen Qualität und gelungenen Organisation des Festivals hat die Verschiebung aber nicht gekratzt.

Insgesamt erlebte das Publikum vom 23. Oktober bis 1. November zwölf Ausstellungen mit Werken von 49 Fotokünstlern an verschiedenen OFF-Orten im gesamten Stadtgebiet. Laut Veranstalter kamen rund 2000 Besucher in die Ausstellungen. Neue Online-Formate wie Live-Stream und virtuelles Symposion wurden ebenfalls gut angenommen. Das international ausgerichtete Festival gilt als eines der wichtigsten deutschen Fotoereignisse. Seit jeher fokussiert es auf gesellschaftlich relevante Themen und fördert den interdisziplinären Diskurs im Genre. Trotz Corona haben die Veranstalter erneut einen dialogischen Treffpunkt geschaffen, der als Ort der Begegnung und kreativen Reflexion zahlreiche Besucher angelockt und mit neuen Entwicklungen der zeitgenössischen Fotografie konfrontiert hat. Der ausrichtende Verein aus freien Fotografen hatte die Reihe im vergangenen Jahr in Kooperation mit dem Kunstforum der TU Darmstadt konzeptuell erfrischt und auf der Basis hauptamtlicher Strukturen neu ausgerichtet. Die Universität tritt seither als Träger auf. Eine Professionalisierung, die den Tagen sehr gut getan und ihren leichten Charme erhalten hat, wie auch Karin Wolff vom Kulturfonds Rhein-Neckar beim Pressegespräch im Darmstädter De-signhaus betonte.
Der Fonds ist nicht nur Förderer, sondern auch Impulsgeber: Auf seine Anregung ist das Darmstädter Festival nun in einem Rotationsystem mit den RAY Fotografieprojekten und den Wiesbadener Fototagen in einen triennalen Turnus eingebunden.
Die ehemalige Hessische Kultusministerin sprach von einer schwierigen Phase für die Kunst und Kultur, in der die Branche dringend unterstützt werden müsse. Das die Fotografie im Rahmen des Festivals zunehmend auch den öffentlichen Raum erobert, bewertete sie als positives Signal und Chance auf eine breitere Wahrnehmung der Arbeiten. Auch der Kanzler der TU Darmstadt, Dr. Manfred Efinger, lobte die Einbeziehung des freien Raums, was in diesem Umfang in der Biografie des Festivals eine Premiere darstelle. Julia Reichelt, die Leiterin des Kunstforums, und Kurator Albrecht Haag freuten sich, dass die Veranstaltung auch unter schwierigen Bedingungen ermöglicht werden konnte.
Unter dem Titel „Skurrile Fluchten – Humor in der Fotografie“ erlebten die Besucher sehr unterschiedliche Auseinandersetzungen mit dem Thema: die Künstler präsentierten aufregende Perspektiven, szenische Inszenierungen und bisweilen skurrile Blickwinkel, die eine präzise, pointierte und stets eigenwillige Sicht auf die Welt spiegeln.
Vordergründige Assoziationen prallten gegen hintergründige Blitzlichter, oftmals löste die visuelle Verschmelzung von Kontrasten und Harmonien ein Hinterfragen und Infragestellen automatisierter Wahrnehmungsmuster und Wertvorstellungen aus. Auf theoretischer Ebene wurde das Thema in Darmstadt bei einem Symposium in der Centralstation näher ausgeleuchtet – und online live übertragen. Noch vor dem offiziellen Auftakt präsentierten die Macher große Fotoleinwände unter anderem auf dem Friedensplatz, dem Karolinenplatz und im Herrngarten. Die spektakuläre Themenausstellung „Trautes Heim“, die bis zum 20. Dezember verlängert wurde, umfasste Bildinstallationen und – im Konsum Mathildenhöhe – auch einige Videoarbeiten von Erwin Wurm. Julia Reichelt freute sich über die positive Resonanz der Betrachter, die sich auf der Straße mit existenziellen Fragen zu Leben und Wohnen gestellt hatten.
Das eigene Heim wurde als Refugium und Schutzraum, aber auch als Start-rampe für chronische Nestflüchter dargestellt. Und die Stadt zeigte sich als eine Art begehbares Fotoalbum mit spannenden Motiven an besonderen Orten. Erstmals in prominenter Dimension in Deutschland ausgestellt wurden in diesem Rahmen Werke des weißrussischen Fotografen Alexey Shlyk und der Chinesin Pixi Liao. Um Maskerade und Inszenierung dreht sich die Ausstellung „Staging Identity“. Ein ironischer, spielerischer Blick auf das Thema Identität von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart, wie Stefanie Patruno erläuterte. Die Kunsthistorikerin ist seit 2016 Kuratorin, Sammlungskonservatorin und stellvertretende Direktorin am Institut Mathildenhöhe. „Knapp 40 Fotografien und Filme stellen traditionelle Rollenbilder auf den Prüfstand“, beschreibt sie den gemeinsamen Ansatz der versammelten Arbeiten von elf Künstlern. Darunter Größen wie Anton Corbijn und Pipilotti Rist. Die Werkschau läuft bis 28. Februar. Die Ausstellungen in der Kunsthalle mit Joachim Brohm, Ute Mahler, John Myers sowie mit Heide Stolz sind bis 24. Januar zu sehen. Der mit 7000,- Euro dotierte 8. Merck-Preis ging in diesem Jahr an Thorsten Brinkmann für seine Serie „not just one title“. Die Jury lobte eine technisch und ästhetisch gelungene Umsetzung einer originellen Idee. Brinkmanns Schaffen vereine Kreativität, Neugier und Fantasie. Seine theatralisch gefärbten Motive verbänden Humor mit einer List am Darstellen. Daher sei er der passende Preisträger des diesjährigen Festivals, das in Kombination mit der Jahrestagung des Deutschen Fotografischen Akademie (DFA) sowie verschiedenen Workshops, Führungen und Artist-Talks dem Medium Fotografie eine eindrucksvolle Bühne geboten hat. Zusätzlich vergab die Jury Anerkennungspreise an Robert Pufleb und an Nadine Schließer für die Serie „Alternative Moons“ sowie an Wolfgang Vollmer für „Meisterwerke der Fotografischen Kunst“. Die Preisträger erhalten jeweils 1500,- Euro.