Wenn Kulturgut gut schmeckt
Der Seeheim-Jugenheimer Helferkreis Asyl lud zum Kelterfest ein
SEEHEIM-JUGENHEIM, November 2016 (pem), „Kinder gut – alles gut!“, lächelte eine junge Frau, sicher Mutter eines der Kinder, die in quirliger Vorfreude so gut es geht eine Warteschlange vor dem Waffelstand bilden. Die Kleinen, die hier so vergnügt und scheinbar unbeschwert der nicht alltäglichen Schlemmerei entgegensehen, haben schon ganz andere Seiten des Lebens kennengelernt. Sie gehören zusammen mit ihren Familienmitgliedern zu Bewohnern der Unterkünfte für Geflüchtete in der Jugenheimer Lindenstraße sowie im Balkhäuser Tal.
Den Kontakt zwischen den rund 180 Menschen und der lokalen Bevölkerung anzubahnen und zu intensivieren, betrachtet der Helferkreis Asyl als eine seiner vornehmlichen Aufgaben. Es gilt immer noch Ressentiments abzubauen und der Zurückhaltung der Bürger entgegenzuwirken. Die Frage, was man tun könne, um prinzipielle Unterstützungsbereitschaft zu signalisieren und wie es gelänge, sich ansprechbar zu machen, beantwortet der Helferkreis seit langer Zeit mit verschiedenen Aktivitäten. „Gemeinsames Erleben und schöne Eindrücke teilen, ist der beste Weg einander in entspannter Atmosphäre zwanglos näher zu kommen“, weiß die Vorsitzende Claudia Schlipf-Traup aus reicher Erfahrung. „Nichts ist da besser geeignet, als zusammen zu essen und zu feiern.“ Mit dem Begegnungs-Café, jeden Mittwoch von 16 bis 18 Uhr in der Lindenstraße 10, ist eine Begegnungsstätte etabliert worden. Beste Resonanz finden auch die monatlichen kulinarisch musikalischen Abende.
Tradition und Fortschritt der Gesellschaft – Landeskunde, Ökologie und Ökonomie, Ethik und Philosophie – all diese Fäden laufen in der Küche zusammen und können beliebig in Tischgesprächen aufgenommen werden – Essen ist der perfekte Kommunikationskatalysator und „es macht ein gutes Stück der Identität und Landeskultur aus“, ergänzt Claudia Schlipf-Traup.
Vor drei Jahren entdeckte sie als lokales und regionales kulinarisches Kulturgut den Apfel und die herbstliche Saftproduktion. Die Idee vom Kelterfest war geboren und wurde in kräfteraubender Muskelarbeit an der kleinen Handkelter umgesetzt. Der Apfel hatte seine verlockende Wirkung positiv entfaltet und zum Kennenlernen „verführt“. Auf Anhieb konnte man das Fest als Erfolg verbuchen. Die Welle des begeisterten Nachklangs stellte eine Zweitauflage außer Zweifel. Dabei konnte man noch entspannter feiern, dank professioneller Entlastung beim Pressen. Eva und Michael Michel betreiben in Wallhausen ein Obstgut und stellten Knowhow, Gerät sowie die eigene Arbeitskraft zur Verfügung. Auch in diesem Jahr sorgten sie Eimer um Eimer für köstlich 100-prozentig natürliche Erfrischung aus den vom Helferkreis mit den Geflüchteten gesammelten Äpfeln. Viele helfende Hände erleichterten Michael Michel seine Arbeit.
Das Kuchenbuffet der Kaffeetafel unter freiem Herbsthimmel enthielt ebenfalls verschiedene Apfelkreationen. Doch ein Verwendungszweck der gesunden Frucht war den meisten Kelterfestbesuchern noch gar nicht in den Sinn gekommen. Umso größer der Jubel und die Neugier als das Eiscafé Natale mit seinem Beitrag zum Fest aufwarteten. Aus den von den Obstbauern Michel im Sommer gestifteten Kanistern Saft war ein duftig süß-säuerliches Apfeleis geworden. Freigegeben zur Verkostung durch die kleinen Schleckermäulchen. Und wie fiel der Geschmackstest durch die „Profis“ aus? Klarer Fall von Daumen hoch – und zweite Portion bitte!
Kinder gut – alles gut. Denn automatisch steckt ihre Unbefangenheit an und macht das Reden leichter. „Wir setzen alles daran, um immer wieder Gelegenheiten zu schaffen, bei den Bürger und Geflüchtete einander einfach als Menschen wahrnehmen können.“ Der größte Wunsch und die treibende Motivation des unermüdlichen Einsatzes der rund 200 Ehrenamtlichen besteht in der Wohnraumfindung. Die Geflüchteten aus der Unterbringung in einen neuen Lebensraum zu vermitteln, ist ihr Ziel. Wo sich ein wirkliches Familienleben wieder entfaltet, man sich neue Lebensqualität schafft, kann man heimisch werden und neue Wurzeln wachsen lassen.
Schon die ausgelassenen fröhlichen Stunden waren ein Sofortgewinn für alle. Für den nachhaltigen Erfolg des Menschen für Menschen Engagements kann man nur hoffen.
Fotos: Stefan Oelsner
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