Startnews, Zwingenberg und Rodau

Auf vier unterschiedlichen Routen führen die Planwagenfahrten des Zwingenberger Geschichtsvereins durch die Weinberge. Foto: soe
04. September 2024 

Acht Räder, vier Weine und ein einziger Spaß

Mit dem Zwingenberger Planwagen ins Auerbacher Fürstenlager

ZWINGENBERG, September 2024 (tt), Die Zugmaschine krabbelt die Apfelallee hinauf. Ganz gemütlich. Im Grunde könnte man jetzt ein- oder austeigen. Aber warum sollte man? Im Anhänger sind Passagiere bestens aufgehoben. Vor einem ein Tisch mit Löchern für Wein und Gläser. Rechts und links nette Mitreisende. Und vor einem eine Tour der etwas anderen Art. Es macht Spaß, an Bord zu sein. Wie bei der Premiere vor zehn Jahren.

Damals rollte der Planwagen des Zwingenberger Geschichtsvereins erstmals durch das Auerbacher Fürstenlager. Im Gepäck ein Dutzend Passagiere, ein paar Flaschen Wein und die geballte Neugier darauf, den Park einmal aus einer anderen Perspektive zu erleben. An diesem Samstag im August startete auf dem Löwenplatz zum x-ten Male eine öffentliche Tour mit diesem besonderen Gefährt, dass in der Region und weit darüber hinaus seinesgleichen sucht. Neben Routen durch Zwingenberg und auf den Melibokus ist der Abstecher in den Staatspark längst zu einem beliebten Klassiker geworden. Es ist holprig. Schon auf Heimatpflaster. Über die Untergasse schleicht der Planwagen mit seinen insgesamt acht Rädern Richtung Marktplatz. Es sind kaum 25 Stundenkilometer, mit denen Fahrer Ralf Korb die 70 PS starke Zugmaschine durch die Altstadt lenkt.

Doch das ist schnell genug, um die Bodenwellen über die Achse ungefiltert an den Allerwertesten zu senden. Das Einschenken von alkoholischen Getränken wäre jetzt erstens zu früh und zweitens zu spritzig. Während der sanfte Fahrtwind die Wangen küsst und die vormittägliche Schwüle einer frischen Brise weicht, wächst die Vorfreude auf die kommenden zweieinhalb Stunden.

Zumal es in einen englischen Landschaftspark geht, den schon die noblen Herrschaften des Hauses Hessen-Darmstadt als ländlich schattige Sommerresidenz zu schätzen wussten. Die idyllische Interpretation einer ländlichen Siedlung mit dem alten Kurbrunnen inmitten eines wunderbar gepflegten Landschaftsparks ist ein Ort der aktiven Entschleunigung. Und die beginnt bereits auf der Straße. Laut und langsam nähert man sich dem Kurort über die Bundesstraße Nummer drei. Leute schauen dem Wagen hinterher. Einige winken. Über die Grafenstraße und Weidgasse geht es mitten durch das Kurviertel Richtung Bachgasse. Es ist geräumig an diesem Tag. Normalerweise hat der Wagen Platz für 19 Personen plus einer Begleitperson, die den Trip im Auftrag des Geschichtsvereins betreut. Diesmal fährt Hansjörg Baumann mit. Er hat nicht nur zahlreiche Informationen über den Zielort im Gepäck, sondern sorgt mit seiner unaufgeregten und gelassenen Art auch für eine entspannte Tour durch die nähere Umgebung.

Das über 46 Hektar große Seitental in Auerbach wird von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten betreut und hat sich in den letzten Jahren weiter herausgeputzt. Die Renaissance des Landschaftsgartens zwischen steilen Wald-, Wiesen- und Weinhängen zieht die Blicke auf sich. Auch aus dem Planwagen, der für die Erkundung der kunst- und kulturgeschichtlich bedeutsamen Anlage bestens geeignet ist. Erster Stopp ist am Schwanenteich, der erst im 19. Jahrhundert angelegt wurde. Neben historischen Häppchen fließen drei Zwingenberger Weißweine ins Glas: ein Silvaner von Jan Faber, ein Rotling aus dem Weingut Simon-Bürkle und ein Riesling aus dem Bio-Betrieb Feligreno.

Das Mikroklima am kleinen Gewässer lässt einen frei Durchatmen und die Früchte der nahen Weinberge genießen. Die Welt offenbart sich hier als kompaktes Dörfchen mit allem, was einst für eine gediegene Flucht aus höfischen Zwängen benötigt wurde: visuelle Eleganz, architektonische Harmonien und nahtlose Übergänge in die Natur, die hier ebenso sorgfältig komponiert wurde wie Gebäude innerhalb dieses Talkessels. Man erkennt: die Landgrafen hatten Geschmack. Was am Übergang zum 18. Jahrhundert gut war, ist auch heute noch richtig. Die klassizistisch angehauchten Bauten der schmucken Residenz sind begehbare Postkartenmotive, der Park ein Monument an facettenreicher Vegetation und exotischer grüner Ensembles.

Wer im Planwagen Platz nimmt, der schaut sich zunächst einmal um. Der Geschichtsverein ist als einziger im Besitz einer Sondergenehmigung. Nur er darf die Touren exklusiv durchführen. Der Weg ist festgelegt, ein planloses Planwagenfahren ist also nicht genehmigt. Zugmaschine und Anhänger sind individuell aufeinander abgestimmt und ausgelegt. Eine andere Kombination ist nicht erlaubt. Es hat über ein Jahr gedauert, bis der TÜV einverstanden war. seither wird das Gefährt jährlich gecheckt. Was 2007 als forsche Idee begann, hat sich zu einem Erfolgsmodell entwickelt. Die Fahrer besitzen alle einen Personenbeförderungsschein und werden regelmäßig überprüft. Alle Fahrgäste sind über die Stadt Zwingenberg versichert und unterliegen den Sicherheitsvorschriften für den öffentlichen Personentransport. So viel zum Kleingedruckten.

Der Blick fällt über die Lindenallee hinauf ins dörfliche Ensemble aus Prinzen- und Damenbau, Wache und Meierei. Es ist kurz nach halb elf und das Fürstenlager noch ruhig. Die meisten Touristen kommen später. Ideale Bedingungen für die Planwagenfahrt. Auch die Landgrafen besuchten das Fürstenlager – wie der Geschichtsverein – regelmäßig und ebenfalls ganz zwanglos. Erbprinz Ludwig und seine Gemahlin Luise kamen erstmals 1783 nach Auerbach, nachdem bekannt wurde, dass dort mineralische Quellen entdeckt wurden. Denn Ludwig war krank. Als der Großherzog nach dem Genuss der Quelle genesen war, genossen sie fortan die Sommermonate im Park, in dem zwischen 1790 und 1795 die wichtigsten Bauwerke sowie der Park als Ganzes nach dem Vorbild einer „ornamental farm“ (gestaltetes Gut) entstanden waren. Hansjörg Baumann beantwortete alle Fragen seiner Gäste auch beim nächsten Halt am Herrenhaus, in dem seit kurzem wieder ein neuer Pächter für Leben sorgt.

Es steht am Ende der großen Wiese, die das Gebäude in einer geraden Achse mit dem Freundschaftstempel verbindet. Der alte Brunnen wurde freigelegt, das Grün um einen kleinen Pfad erweitert. Der Hang hinter dem Herrenhaus war einst als Weinberg angepflanzt. Bei einem Schlückchen Wein hatten die Fahrgäste freie Sicht auf die Schmuckstücke des Parks, darunter die exotischen Pflanzen mit einem der ältesten Mammutbäume Deutschlands als buchstäblichen Höhepunkt. Über die Apfelallee ging es auf die Schönberger Höhe, von wo aus sich der Blick auf das Auerbacher Schloss und die Heppenheimer Starkenburg öffnete. Auch die Schönberger Marienkirche blinzelte durch den Wald. Die 1787 erbaute Eremitage ist ein kapellenartiges und etwas geheimnisvolles Bauwerk am Wald, in das sich die Adligen zurückzogen, wenn ihnen der Trubel im Dörfchen zu viel wurde. Hinter der Verkleidung aus Baumrinde unter dem Schilfdach ließ es sich auch bei warmen Temperaturen aushalten. Einsamkeit war hier ausdrücklich erwünscht.

In guter Gesellschaft indes waren die Passagiere, die im Planwagen zum Altarberghaus auf dem Bergrücken des Fürstenlagers weiter zogen. Das kleine Gebäude wurde erst jüngst rekonstruiert und war bereits im Parkplan von 1795 verzeichnet. Um eine hochwertige Bauqualität zu sichern, wurden historische Handwerkstechniken und Baumaterialien wie Lehm und Kalk mit modernem Wissen aus dem ökologischen Bauen verbunden. Eine prägnante Landmarke, die weithin sichtbar ist. Von dieser Stelle bot sich ein wunderbar klarer Fernblick in die Rheinebene bis in die Pfalz, während einem die Auerbacher Weinberge regelrecht zu Füßen lagen. Ein längerer Aufenthalt war hier gut aufgehoben.

Mit dem Geschmack eines Alsbacher Merlot vom Weingut Kühnert auf der Zunge ging es durch die Rebzeilen ganz langsam hinunter bis zur Schönberger Straße und zurück nach Zwingenberg. Während dieser Passage musste Ralf Korb – ein erfahrener Busfahrer – noch einmal sein Können beweisen und sorgsam mit den Bremsen spielen. Fazit: ein informativer, kurzweiliger und überaus geschmackvoll arrangierter Ausflug, der um 12:29 Uhr, eine Minute vor der geplanten Ankunftszeit, auf dem Löwenplatz endete. So viel Pünktlichkeit ist eigentlich schon peinlich. Hansjörg Baumann lacht. Manchmal werde es auch s ein wenig später. Je nach Passagieren und Gruppengröße. Aufgesprungen ist jedenfalls keiner, nachdem der Motor aus war. „Es ist noch Wein da“, lautete ein vielsagender Kommentar aus dem Heckbereich des Gefährts.