Alsbach-Hähnlein, Garten-Natur-Tiere

Über die Verwendung heimischer Kräuter, wie der Brennnessel in Küche oder als Heimittel, informieren die Kräuterfrauen Martina Schneider (3.v.li.) und Doris Lochmann (4.v.re.) die interessierten Besucher ihrer Kräuterwanderung. Foto: soe
17. September 2021 

Alles im grünen Bereich

Auf Kräuterexkursion mit den ausgebildeten Kräuterfachfrauen Martina Schneider und Doris Lochmann aus Alsbach-Hähnlein

ALSBACH-HÄHNLEIN, September 2021 (tt), Es gibt kein Unkraut. Nur Wildkraut. Egal ob Giersch, Brennnessel, Löwenzahn oder Scharbockskraut: jede Pflanze hat einen Grund, warum sie genau da wächst, wo sie wächst. Der Begriff Unkraut ist wahrscheinlich eine verbale Hausgeburt von argwöhnischen „Gartenliebhabern“, die durch jedes noch so kleine Pflänzchen ihre hygie-nische Monokultur gefährdet sehen und panisch mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Martina Schneider aus Alsbach und Doris Lochmann aus Hähnlein sehen das ganz anders. Die beiden Freundinnen haben eine Ausbildung zum Thema Wildkräuter hinter sich. Und noch viel mehr vor sich. „Fertig ist man nie“, betont Doris Lochmann. Denn das Spektrum ist enorm. Neben Inhaltsstoffen und Heilwirkungen beschäftigen sich die beiden auch mit den ökologischen, mythologischen und nicht zuletzt kulinarischen Facetten ihres mannigfaltigen Sujets.

Man kennt sich schon länger. Martina Schneider ist in der Initiative Umweltschutz Hähnlein, Alsbach und Sandwiese aktiv. Vor sechs Jahren trafen die grünen Ladies dort zusammen. Man sprach die gleiche Sprache. Gemeinsam mit der IUHAS startete Doris Lochmann dann 2018 die Aktion „Die Hejner Gaas wird zum Kunstobjekt“: Das örtliche Wappentier wurde zum Ausstellungsstück in der Ortsdurchfahrt. Die bunten Beton-Ziegen sollten das Tempo drosseln und so den Verkehr beruhigen. 2019 stießen beide auf die Natur- und Umweltpädagogin Leslie Frotscher. Eine Diplomingenieurin für Landschaftsarchitektur, Permakultur-Designerin und ausgewiesene Kräuterfachfrau. Beim Verein frida Rhein-Main, frida steht für „frisches Darmstadt“, bietet Frotscher Jahresausbildungen an.

Dabei lernt man Wildpflanzen der Saison mit ihren Merkmalen kennen und erfährt alles über die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten in Küche und Hausapotheke. „Genau das Richtige für uns“, so Martina Schneider. Ein Jahr lang bewegten sich die beiden voll im grünen Bereich. Es ging um Botanik, um Gift-, Heil- und Räucherpflanzen sowie die Herstellung von Tinkturen, Salben, Ölen und Kräuterhonig. Außerdem wurden der Jahreszyklus der Arten beleuchtet und ihre medizinischen Eigenschaften diskutiert. „Für uns war das schon vorher ein Thema“, so Doris Lochmann. Bei ihren gemeinsamen Runden mit den Hunden war ihnen wiederholt aufgefallen, dass die Artenvielfalt in der Natur abnimmt. „Es gibt nur wenige Blühstreifen, am Wegs- und Feldrand wird alles gnadenlos zurückgeschnitten.“

Mit ihrer Ausbildung wollen die beiden Frauen auch dazu beitragen, dass überliefertes Wissen nicht verloren geht. „Es ist wie mit einer Fremdsprache: wenn man sie nicht ständig spricht, verlernt man sie wieder“, sagt Martina Schneider. Das geballte Wissen würde langsam versickern, wenn man nicht immer wieder in der Natur unterwegs sei und die heimischen Wildkräuter entdeckt. Am besten in Gesellschaft. Daher bieten beide jetzt selbst Kräuterwanderungen an. Ausgangspunkt ist im südlichen Zwingenberg. Von dort aus geht es hoch in die Weinberge der Lage Auerbacher Höllberg. Ein lehrreicher Rundweg, der mit kenntnisreichem Blick auf die Kräuter etwa zwei Stunden dauert. In einer schmucken Hütte am Ausgangspunkt endet die Tour – meistens mit kulinarischen Genüssen in geselliger Runde. Mehr als zehn Personen sind kaum dabei, damit eine betont dialogische Exkursion gelingen kann.

„Wer sein Gegenüber kennt, weiß es eher zu schätzen“, erläutert Doris Lochmann das allgemeine Prinzip der Empathie, das auch auf die Natur anwendbar ist. Aus anonymen „Unkraut“ wird schnell ein sympathischer Pflanzenfreund, wenn man um seine Eigenschaften und Vorzüge weiß. Genau mit diesem Anspruch organisieren die beiden ihre Kräuterwanderungen.

Zum Allgemeinwissen kommen die Spezialgebiete der kundigen Damen. Denn bei dem Kurs, der mit einem Zertifikat abschließt, sucht sich jeder Teilnehmer eine sogenannte Jahrespflanze aus, die er oder sie näher beleuchtet. Bei Martina Schneider war es der Spitzwegerich. Die Inhaltsstoffe wirken entzündungshemmend und bakterientötend, stimulieren das Immunsystem und hemmen den Hustenreiz. Der Spitzwegerich wächst auf Wiesen und Weiden, an Wegrändern und auf Äckern. An trockenen Standorten fühlt er sich am wohlsten. Im Mittelalter zählte er zu den am häufigsten verwendeten Heilpflanzen. In den letzten Jahren hat er wegen seiner vielseitigen Heilwirkung eine Art Wiedergeburt erlebt. Das Kraut eignet sich hervorragend zur Behandlung kleinerer Wunden. Martina Schneider stellt aus dem natürlichen Antibiotikum eine Salbe her, etwa als Heilmittel bei Schuppenflechte.

Doris Lochmanns „Liebling“ ist Mädesüß. Ein Gewächs, aus dem der Wirkstoff für Aspirin gewonnen wurde. Der Name deutet darauf hin: Ursprünglich hieß die Pflanze Spiraea ulmaria. Das berühmte Acetylsalicylsäure-Präparat sei 1899 nicht ohne Grund nach dieser Pflanze benannt worden, so Frau Lochmann. Im Mädesüß hatte man Acetylsalicylsäure-Verbindungen entdeckt, die den Hauptbestandteil des Schmerzmittels ausmachen. Aber bereits zuvor war das Rosengewächs jahrhundertelang eine bekannte Heilpflanze. Es galt als harn- und schweißtreibend, als hustenstillend und als Rheumamittel. Heute werden die cremeweißen Blüten und das getrocknete Kraut unter anderem unterstützend bei Erkältungskrankheiten eingesetzt. Oft als Teeaufguss. Es gilt als heiliges Kraut der alten Kelten und war schon im Met enthalten. Doris Lochmann schört auf einen aromatischen Likör.

„Irgendwas wächst immer“, so Martina Schneider, die aus sorgsam komponierten Kräutermischungen gern auch gesunde Smoothies herstellt. Daher kennen ihre Touren keine Saison. Auch im September sind Exkursionen vorgesehen. Wer achtsam und erhellend die Wildkräuter der Heimat kennenlernen will, kontaktiert die Damen per Mail: schneidermb@aol.com oder d.lochmann@web.de.