Darmstadt, Wissen und Computer

Was die Digitalisierungswelle der Industrie 4.0 an Veränderungen und Chancen bedeutet, und wie sich dadurch Prozesse und Produktion verändern, erläuterte Prof. Dr. Ing. Joachim Metternich (mi.). Foto: soe
23. März 2016 

Die Fabrik der Zukunft

An der TU Darmstadt entsteht ein Kompetenzzentrum der Bundes­initiative „Mittelstand 4.0“ – Besuch in der „Lernfabrik“

DARMSTADT, März 2016 (holly), Am Anfang standen Wasserkraft und Dampfmaschinen, dann kam die industrielle Massenproduktion mithilfe elektrischer Energie, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dienten der Einsatz von Elektronik und Informationstechnologien der Automatisierung der Produktion, das 21. Jahrhundert geht einher mit der vierten industriellen Revolution: dem Einsatz von cyber-physischen Systemen.

Hochtechnologischer Tobak, den Eberhard Abele da beim Pressetermin im „Haifischgebäude“ der Technischen Universität Darmstadt auftischt. Abele ist Professor und geschäftsführender Leiter des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) und verantwortlich für die Gründung der Prozesslernfabrik „Center industrieller Produktivität“ an der TU. Reiner Anderl ist verhindert, ist Leiter des Fachgebiets Datenverarbeitung in der Produktion (DiK), das die „Cyber“-Komponente zum Projekt beisteuert. Und dann ist da noch Erhard Feige von der Unternehmensberatung McKinsey, die mit der TU seit fast 17 Jahren projektverbunden ist.

Das lässt ahnen, um was es im Grundsatz geht: „Effiziente Fabrik“ ist eine Broschüre überschrieben, die den gewichtigsten Teil der Pressemappe ausmacht. „Effizienz“ meint hier längst nicht mehr den Einsatz von Ergonomen und Stoppuhr. Eher so etwas. „Das Produkt sucht sich selbst seinen Weg durch die Produktion.“ Diesen Satz sagt Professor Joachim Metternich, der im PTW auf der Seite der Informations-Technologien steht, während Abele eher in der „Hardware“ der Maschinen verhaftet ist.

Metternich schränkt ein, dass man von dem formulierten Ideal des quasi „autonomen“ Produkts noch weit entfernt ist. Aber man ist auf dem Weg zu einem Produktionsprozess, in dem zahlreiche Daten vernetzt erfasst und zentral ausgewertet werden. Und in dem ein Werkstück die Maschine mit einem „Hallo, hier bin ich“ und einer eindeutigen „Namensnennung“, etwa „XYB08/15“ begrüßt. Das funktioniert mit einem kleinen Chip, ein Barcode tut es auch. Die Maschine weiß dann schon, was sie dem Werkstück antun soll. Es kann auch ein Mensch sein, der andere Werkstücke mit dem Ankömmling verbinden soll. Wie er das tun soll, wird ihm idealerweise per Video auf einem Touchscreen gezeigt – Ende jeglicher Sprachbarrieren, das Ende vorarbeiterlichen Anlernens. Ein Kollege von den VDI-Nachrichten probiert die Schreiberei selbst einmal aus und kommt bald zu dem Schluss, dass dieser menschliche Part des Produktionsprozesses ziemlich monoton ist. Eine richtige Antwort bekommt er darauf nicht, denn ein Assistent erklärt ihm stattdessen, dass geübte Arbeiter sich natürlich nicht mehr jedes Mal das Video anschauen müssen. Auf einem großen Bildschirm ist dann zu sehen, welche Stationen der Hydraulik-Zylinder durchlaufen hat, der modellhaft in der „Prozesslernfabrik“ produziert wird, man kann Zeiten und Energieverbrauch ablesen, auch Messwerte der Qualitätskontrolle und die Wertschöpfung, und man weiß dabei immer, dass man es mit „XYB08/15“ zu tun hat.

Solch lückenlose Dokumentation wird inzwischen beispielsweise schon von Zulieferern der Automobilindustrie eingefordert. Abrufen lässt sich auch zentral und in Echtzeit die aktuelle Produktions-Kapazität, falls kurzfristig ein Auftrag angefragt wird. Was mit dem „Cyberspace“ so alles möglich ist, hat eingangs der Mann von McKinsey am Beispiel RollsRoyce erläutert. Unter diesem Namen werden nicht nur noble Autos produziert, sondern auch begehrte Flugzeugturbinen. Die werden nun nicht mehr verkauft, sondern nach Einsatzstunden vermietet, und das Unternehmen weiß per Fernüberwachung durch etliche Sensoren, wann sich ein Schaden anbahnt und eine Wartung fällig ist: quasi eine dauerhafte Qualitätskontrolle in Echtzeit. In der Großindustrie wird schon eine Weile an solchen Modellen gearbeitet, aber das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist ja der Mittelstand, und die Lernfabrik im „Haifisch-Gebäude“ dient auch dazu, Mittelständlern technische Möglichkeiten zur kleinmaßstäblichen Umsetzung von „Industrie 4.0“ zu zeigen und sie bei der Implementierung in den eigenen Betrieb zu beraten.

Weitere Infos unter www.ptw.tu-darmstadt.de.