Bensheim

New York, Rio, Tokio? Oder doch lieber Richtung Mallorca oder auf die Seychellen? Kein Problem! Der Trip passt sogar in eine längere Mittagspause. Und von Jetlag nichts zu spüren. Auch die Crew des Melibokus Rundblicks stieg in Bensheim ins Cockpit. Während Eva Wicht begeistert war vom Blick auf die legendäre Golden Gate Bridge, landete Vera Samstag (re) die Boing 747-400 souverän auf dem International Airport San Franzisko. Foto: soe
03. Januar 2022 

„fly747“ – Jet Set für Hobbypiloten

Jumbo-Flugkapitän Oliver Shariff erschafft einen modernen Flugsimulator in Bensheim | Magische Momente für jedermann | Melibokus Rundblick hebt ab

BENSHEIM, Januar 2022 (tt), New York, Rio, Tokio? Oder doch lieber Richtung Mallorca oder auf die Seychellen? Kein Problem! Der Trip passt sogar in eine längere Mittagspause. Und von Jetlag nichts zu spüren.

Wenn sich am Weidenring im Bensheimer Gewerbegebiet das große Rolltor öffnet, taucht man ein in eine kosmopolitische Welt, die man in dieser nüchternen Umgebung nicht vermuten würde. Der original Check-In-Schalter stand früher in der Halle des Stuttgarter Flughafens. Und das CAT III Bodenschild hatte seinen Platz auf der Rollbahn in Berlin-Schönefeld. Kleine Snacks werden auf einem authentischen Serviertablett gereicht. Die Tür zum WC ist einer Bordtoilette nachempfunden. In der Ecke stehen Massagesitze wie in der First Class. Über eine echte Jumbo-Treppe geht es 14 Stufen in die Lounge hinauf, wo man durch Flugzeugfenster nach draußen blickt.

Spätestens, wenn es im Hintern vibriert, ist man endgültig verloren. Dann kommt man sich vor wie der Kapitän in einem großen Passagierflugzeug. Denn genauso fühlt es sich an, wenn man über das Rollfeld gleitet oder sich kurz nach dem Start das Fahrwerk einfährt. Ja, Oliver Shariff nimmt es genau. Denn der Herr der Horizonte ist nicht nur Betreiber eines 747-400-Flugsimulators in einer echten Jumbo-Schnauze, sondern auch ausgebildeter Flugkapitän mit jahrzehntelanger Erfahrung. Er hätte aber auch Pädagoge werden können. Die unaufgeregt einfühlsame Art des 54-jährigen Piloten hält den Puls von nervösen Flugschülern auch in anspruchsvollen Momenten unter Kontrolle. Und das kann schon einmal vorkommen, wenn im Cockpit auf einmal ein Dutzend Knöpfe wichtigtuerisch aufblinken und nach fachkundiger Bedienung rufen.

Die Testpilotinnen vom Melibokus Rundblick bleiben cool. Mit Kapitänsmütze und weiblicher Intuition nehmen Eva Wicht und Vera Samstag das Steuer in die Hand. Die Landung in San Francisco gelingt gut und ohne Turbulenzen. Eigentlich kaum zu glauben, dass in den Cockpits der 20 bekanntesten Fluggesellschaften nur rund fünf Prozent Pilotinnen vertreten sind.

Schichtwechsel. Wir steigen um in Richtung Ostküste. Der John F. Kennedy International Airport kommt erschreckend schnell näher. Die Landebahn wird immer größer. Jetzt ist es an der Zeit, die Geschwindigkeit zu drosseln. Auf dem Bedienpanel wird die IAS (Indicated Airspeed) auf etwa 400 Stundenkilometer reduziert. Dann die Landeklappen ausfahren. Dafür muss der Hebel, der sich rechts neben den Schubhebeln befindet, leicht auf Stufe fünf angehoben werden. Dann den Schub weiter verlangsamen. Ab einer Höhe von etwa 1000 Fuß meldet sich der Bordcomputer. Nach dem Aufsetzen aktivieren die Autobrakes. Volle Kraft zurück. Draußen thront Manhattan. Dann nur noch wenige Minuten. Der Vogel ist gelandet. Die Sonne brennt. New York strahlt. Die Frisur sitzt.

In Bensheim warten gleich zwei Jumbo-Cockpits. Eines war früher die Schaltzentrale der 813. gebauten Boeing 747-400 und stand mit der Registrierung B-HOT von 1990 bis 2012 in Diensten der Cathay Pacific Airways. Das andere trägt die Seriennummer 714 und wurde als eine der letzten ihrer Baureihe von 1988 bis 2008 als Frachter bei Air France Cargo und Cargo B Airlines eingesetzt. Im vergangenen Jahr fanden diese historischen Schönheiten auf Schwerlast-Transportern den Weg an die Bergstraße. Die Pandemie und der massiv eingeschränkte Passagierverkehr hatte Shariffs Traum vom eigenen Simulator befeuert. Ein leidenschaftlicher Pilot nahm seine Vision am Boden ins Visier. Das Projekt ist erfolgreich gestartet und wird permanent verfeinert und erweitert. Wenn auf irgendeinem Flugzeugfriedhof der Erde etwas Interessantes parkt, dann weiß Shariff Bescheid.

Während das 200er-Cockpit durch seine charakteristische Silhouette auffällt, ist die Kommandobrücke des großen Vogels in einer lichtgeschützten Box versteckt – darin ist der eigentliche Simulator untergebracht. In der charismatischen Front einer Boeing 747-400 ist es durchaus gemütlich. Unzählige Displays, Zeiger und blinkende Knöpfe, daneben leuchtende Schalter und eine Cockpit-Synoptik in abgedunkelter Kanzel. Sieht aus wie Weihnachten. Und so ähnlich fühlt man sich auch, wenn der geduldige Instructor nach einem gehaltvollen Briefing in der Jumbo-Lounge (hier haben sich schon echte Cargo-Piloten schulen lassen) am Originalschauplatz die wichtigsten Instrumente erläutert.

Man muss das Steuerhorn weit an den Körper heranziehen, bis man in die Luft geht. Ein faszinierendes Gefühl. Als ob man diese 70 Meter lange „Queen of the Skies“ mit ihren 380 Tonnen und über 60 Metern Flügelspannweite tatsächlich eigenhändig in den Himmel bugsiert. Wer grad keine 230 Millionen Euro zur Verfügung hat – so viel hat der Flieger einst gekostet -, der kann sich in Bensheim für viel weniger Geld einen Traum erfüllen. Zumal die Ära des vierstrahligen Großraumjets zu Ende geht. Die Produktion des Boeing-Flaggschiffs läuft aus. Oliver Shariff hat eine Legende konserviert. Und einen magischen Ort geschaffen, an dem Gäste buchstäblich abheben können.

Eine 240-Grad Rundleinwand mit drei Laser-Beamern macht`s möglich. Dazu läuft eine fotorealistische Software. Fünf Rechner und zwölf Monitore sind verbaut. Die Illusion ist perfekt. „Draußen“ erkennt man geschäftiges Treiben auf dem Rollfeld der Startbahn West unter grauem Frankfurter Himmel. Der Chef ist Herr über Wind und Wetter. Auf Wunsch lässt einen der Pilot über den Ozean fliegen oder die Bergstraße kreisen – mit Blick auf das Alsbacher Schloss oder den Bensheimer Kirchberg. Vom Anlassen der Triebwerke bis zum Abstellen am Zielort durchläuft man fliegerische Standards wie Steig- und Reiseflug, Sinkflug, Anflug und Landung sowie das Rollen zur Parkposition. Knapp zehn Meter sitzt man über dem Boden. Die Spitze sieht man nicht. Ein Horror für Menschen mit Problemen beim Einparken. Doch der Flugplatz ist groß und die Hilfssysteme zahlreich.

Der Profi serviert eine Einführung in Flugzeugsteuerung sowohl manuell wie auch mit dem Autopiloten. Man erfährt, wie man Steuerhorn, Gashebel, Fahrwerk und Landeklappen bedient und in welchem Moment Radarlotsen am besten fragen sollte, ob man die Parkposition verlassen kann. Auch die Kommunikation der Flugverkehrskontrolle Air Traffic Control (ATC) ist möglich, um noch mehr Live-Atmosphäre zu genießen. Durch den Einsatz der Elektromotoren sind die Eingaben an Steuersäule (Yoke) und Pedalen (Rudderpedals) maximal realistisch. Zudem bewegt sich die Steuersäule selbständig, sowohl vertikal, als auch horizontal, wenn der Autopilot eingeschaltet ist. Auch die Schubhebel fahren automatisch vor und zurück. Durch die Einbindung des Overhead Panels sind alle Schaltungen realistisch darstellbar.

„Kann ein Laie eine große Linienmaschine landen?“, lautet die Frage, die Oliver Shariff extrem fasziniert. Im Kinofilm „Panik in den Wolken“ wurde dieses brisante Szenario 1971 in Hollywood-Ästhetik durchgespielt: Pilot und Copilot fallen wegen einer Lebensmittelvergiftung aus, ein Passagier soll die Maschine mit Hilfe des Towers landen. Im Film war es eine Douglas DC-6, doch Shariff ist beinahe überzeugt, dass mit exakter Anleitung aus der Distanz auch eine 747 schadenfrei zu landen ist. In Bensheim ist das Nachspielen einer solchen Situation bald möglich. Ein Rollenspiel: man kommt ins leere Cockpit. Dort nur ein Mikrofon und ein Kopfhörer. Wird es gelingen, nur durch Unterstützung über Funk das Flugzeug sicher zu landen? Muss man Treibstoff ablassen? Und wenn ja, wie geht das? Und wo befindet sich das Flugzeug überhaupt?

Das Portfolio an Airports und Landschaften wächst beständig, um den Gästen ein individuelles und personalisiertes Flugerlebnis zu bieten. Auf dem fotorealistisch dargestellten Flughafen London Heathrow hat der Gastgeber 154 Flugzeuge von 58 verschiedenen Airlines platziert. Eine von den 14 Boeing 747 zeigt eine Lackierung mit dem Logo von Shariffs Simulatorprojekt „fly747“. Auch eine Concorde ist zu sehen.
Im Cockpit gibt es vier Sitzplätze, einer ist für den Instructor reserviert. Eine weitere Person kann im hinteren Bereich Platz nehmen. Außerhalb des Cockpits stehen mehrere Sitzgelegenheiten zur Verfügung, wo auf einem 85 Zoll-Monitor das Geschehen im Cockpit mitverfolgt werden kann. Freunde und Familie können den Flug live verfolgen.

Tickets für Rundflüge sind in mehreren Modulen buchbar (Weitere Infos und Tickets unter www.fly747.de) und individuell aufrüstbar. Ein toller Jet Set für Hobbypiloten, die ihren Horizont erweitern möchten, ohne sich von der Stelle zu bewegen.