Goldschmidt-Park: Landschaftsgarten mit blühender Biografie
Förderverein möchte Kleinod in Seeheim sukzessive mit Leben füllen
SEEHEIM-JUGENHEIM, August 2024 (tt), Mit dem Haus ihrer Jugend verbindet Bettina Breithaupt unzählige Kindheitserinnerungen. Die herrschaftliche Villa im Goldschmidt-Park hat eine lange Vergangenheit, über die es viel zu berichten gibt. Seit zwei Jahren ist das ehemalige „Haus am Tannenberg“ wieder ihr Zuhause. Bei einem Parkfest des Fördervereins schloss sich die Goldschmidt-Erbin – sie ist Zweite Vorsitzende – kurzerhand einem Rundgang an durch eine Parklandschaft, die im Stil eines englischen Landschaftsgartens gestaltet wurde und mit vielen exotischen und einheimischen Gehölzen wie Mammutbäumen, Edelkastanien und Trauerbuchen von teils gigantischen Umfangs bewachsen ist. Ein begehbares Kulturdenkmal, das nach vielen Jahren der Ruhe jetzt wieder eine neue Dynamik erlebt.
„Wir möchten den Park wieder mit Leben füllen, er soll schon bald in neuer Pracht erblühen“, betont Eva Klewno vom Förderverein. Die Architektin kümmert sich nicht nur um die Entwicklung des Areals, sie lebt auch dort: mit viel Sensibilität hat sie die denkmalgeschützte alte Remise 2020 saniert und zu einem Wohnhaus inklusive Büro umgebaut. Das Schmuckstück liegt mitten im Goldschmidt Park ganz am Rand des Waldes und ist mehr als 150 Jahre alt. Achtlose Spaziergänger könnten das Gebäude beinahe übersehen, da es sich harmonisch an den Baumbestand schmiegt und über eine große Dachterrasse gleichsam in den Wald zu fließen scheint.
Eva Klewno lächelt. Die Vorsitzende ist eine positive Natur. Man meint, dass die idyllische Umgebung mit ihrer kontemplativen Parklandschaft auf die Bewohnerin übergegangen sei. Seit 2019 kümmert sie sich mit dem Förderverein um eine sukzessive Revitalisierung des Geländes, das nach der Unternehmerfamilie Goldschmidt benannt wurde – dessen Ursprünge aber weitaus länger zurückliegen. Ursprünglich erbaute der Bataillonskommandeur Wilhelm Hahn die Villa im Jahre 1870, erläuterte Klewno, die darauf hinweist, dass die Erforschung des Hauses noch immer nicht abgeschlossen sei. Die Archive bieten eher wenige Informationen.
Was man sicher weiß ist, dass die Villa im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrere Umbauten nach Plänen berühmter Architekten erlebt hat: darunter federführend der Münchner Planer Gabriel von Seidl, der in Darmstadt auch den zerstörten Heylshof, ein Stadtpalais für Maximilian von Heyl, erbaut hatte. Ein Vertreter des Historismus, bei dem auch Fritz Schumacher ausgebildet wurde, der in Dresden wirkte und in Seeheim ebenfalls seine Spuren hinterlassen hat. Es heißt, dass Schumacher die Villa nicht gefallen habe.
Allein bis 1913 wechselten viermal die Besitzer – und mit jedem Male wurde das Haus nach den Vorstellungen des neuen Besitzers teils massiv verändert – das Gesicht wandelte sich von der Romantik bis zum Jugendstil. Aus der Villa Hahn wurde die Villa Schönbühl, daraus ab 1903 die Villa von Heyl und schließlich 1913 die Villa Goldschmidt mit klassizistischen Anklängen. Insgesamt wurde das Gebäude sechs Mal um – und ausgebaut. Auch die Terrasse entstand erst im Laufe der Parkgeschichte am ursprünglich landwirtschaftlich genutzten Westhang des Tannenberges. 1942 brannte das schmucke Ensemble nach einem Bombenangriff nieder, seit dem Wiederaufbau 1953 ist es nahezu unverändert. 1969 hatte die Gemeinde die Parkanlage samt Gebäude erworben, um einen Ort der Naherholung zu gestalten und die wertvollen Baumarten zu erhalten.
Die Gartenarchitektur ist bemerkenswert: der Landschaftspark erstreckt sich über eine Hanglage unterhalb des Lufthansa-Komplexes mit monumentalen Baumgruppen, sanft geschwungenen Wegen und Brunnen sowie einer Säuleneichen-Allee. Immer wieder öffnen sich Sichtachsen auf die Bergstraße und in das Rheintal. Der eingebettete Barockgarten bildet einen perfekten Übergang zum Naturwald. Eva Klewno teilt unterwegs mit, dass auch das ehemalige Gärtnereihäuschen belebt und für diverse Kulturveranstaltungen geöffnet werden soll. Die Kosten für die Umgestaltung des Gartens werden vom Förderverein mit rund 300.000 Euro veranschlagt. Derzeit werden verschiedene Nutzungskonzepte durchgespielt.
Auch für die Villa selbst liegen Pläne zur Sanierung einzelner Elemente vor. Unter anderem soll das Dach erneuert werden. Als ansässige Architektin ist Klewno selbst in den Prozess eingebunden. Vorgesehen ist eine Erneuerung mit roten Biberschwanz-Ziegeln. „Der Park wurde ebenso wie die Villa immer wieder modernisiert und verändert“, sagt sie. Dies entspreche der natürlichen Nutzung eines Landschaftsgartens, der ja auch eine saisonale jahreszeitliche Dynamik erlebt und auch auf längere Distanz immer wieder ein neues Gesicht durch unterschiedlichen Pflanzenbewuchs zeige. Der Förderverein will diesen Prozess im Dialog mit der Gemeinde behutsam lenken und gestalten. Goldschmidts-Park soll neu inszeniert werden.
Unterwegs mit den Kennern entdeckt man immer wieder hübsche Natur-Oasen, wertvolle Baumbestände und idyllische Plätze. Darunter ein kleines Lusthäuschen im Wald, das von der Lufthansa-Gruppe vor drei Jahren sehr liebevoll neu aufgebaut worden war. „Das ist sehr schön geworden“, lobt Bettina Breithaupt, die sich noch gut erinnert, dass dort früher Spielgeräte gelagert wurden.
Ihre Vorfahren waren spanische Juden, die sich in Berlin niedergelassen haben, wo ab 1882 der promovierte Chemiker Karl Goldschmidt das Unternehmen aufgebaut hat. Er entwickelte eine bahnbrechende Methode zur Entzinnung von Weißblechabfällen durch Chlor, durch das die eher kleine Firma zu einem – heute würde man sagen: global player wurde. Mit seinem jüngeren Bruder Hans, der seit 1888 ebenfalls in der Firmenleitung saß, unternahm Karl die notwendigen Schritte zur Vergrößerung der Fabrik, was letztlich 1889 zum Umzug von Berlin nach Essen an den heutigen Evonik-Standort an der Goldschmidtstraße geführt hat. Die Chemische Fabrik wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen belasteten die AG allerdings stark, zwischen den Brüdern entstand ein dauerhaftes Zerwürfnis. Zum Jahresende 1922 übergab Karl Goldschmidt die Unternehmensleitung an seinen ältesten Sohn Theo. Er selbst zog sich auf seinen Alterssitz nach Seeheim zurück, wo er 1926 starb.
Während sich die Zinnhütte von den Folgen des Weltkriegs nie mehr richtig erholen konnte und 1929 stillgelegt werden musste, begann damals der eigentliche Aufstieg des Unternehmens: für eine neues Verfahren zur lückenlosen Verschweißung von Straßen- und Eisenbahnschienen hatte sich Hans Goldschmidt bereits 1895 ein Patent gesichert. Das sogenannte Thermit-Verfahren brachte seinem Erfinder Weltruhm ein. Bis heute ist diese methodische Grundlage das Standard-Schweißverfahren von Bahnen in aller Welt, so Bettina Breithaupt über die Hintergründe des wirtschaftlichen Erfolgs ihrer Vorfahren.
Auch sie hofft, dass sich der Park und die Villa bald wieder von ihrer besten Seite zeigen werden. Das kleine fest mit Picknick und Rundgang war auch als Dankeschön für die vielen freiwilligen Helfer gedacht, die sich einmal monatlich zu Arbeitseinsätzen treffen, um den Park zu pflegen und dieses geschichtsträchtige Fleckchen Erde für die Zukunft zu erhalten.