Hate Speech: Wenn Worte zur Waffe werden
Ausstellung „Demokratie to go“ thematisierte Hassäußerungen im digitalen Raum
BERGSTRASSE, Dezember 2022 (tt), Wenn Worte und Bilder als Waffe eingesetzt werden, spricht man von Hate Speech. Wer Menschen verbal gezielt abwertet und angreift oder zu Hass oder Gewalt aufruft, macht sich durch solche Äußerungen strafbar. Oft sind es rassistische, antisemitische oder sexistische Kommentare, die bestimmte Menschen oder Gruppens zur Zielscheibe haben. Eine Umfrage des Europarats hat ergeben, dass Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Intersexuelle und Queere – kurz: LGBTIQ* – besonders häufig von Hasskommentaren betroffen sind. Gefolgt von Muslimen und Frauen. Ein Muster, das zeigt, wie Hassrede etablierte Macht- und Diskriminierungsstrukturen der Gesellschaft in einem anderen, neuen Medium fortsetzt. Posten, Teilen, Klicken, Liken: so schnell wie heute haben sich Informationen noch nie verbreitet. Gute wie böse.
Dass Worte zu Taten werden können, gehört zu ihren weithin bekannten Nebenwirkungen. Und dass technische Neuerungen im Bereich der Kommunikation die Gefahr mitbringen, diesen Mechanismus zu verstärken, weiß die Gesellschaft spätestens mit Erfindung des Buchdrucks. Aktuell sind es die negativen Auswirkungen von sozialen Online-Medien wie Facebook oder Twitter, die von sich reden machen: Hass-Kommentare gegen Migranten, virtuelle Konfrontationen im Kontext der Pandemie und der dazugehörigen Impfthematik oder verbale Prügel gegenüber Politikern und Journalisten haben das Problem allgegenwärtig gemacht. Aber auch der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Jahr 2019 hat die Problematik verdeutlicht.
Die Wanderausstellung „Stop Hate Speech – Demokratie to go“ erklärte jungen Menschen die unterschiedlichen Formen dieses Phänomens und zeigt Ideen auf, wie man den Hass-Äußerungen entgegentreten kann. Ende Oktober war die Präsentation im Landratsamt in Heppenheim zu sehen. Danach gastierte sie bis Ende November an weiterführenden Schulen in der Region. Die Kampagne des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration zielt darauf ab, das Thema breiter in die Öffentlichkeit zu bringen und anschaulich zu machen.
„Eine Demokratie lebt von Meinungsfreiheit und Austausch“, so der Bergsträßer Landrat Engelhardt. Bösartige Hassreden aber schaden dem demokratischen Diskurs und können von verbaler rasch zu körperlicher Gewalt führen, betont er, der selbst bereits von verbalen Attacken im digitalen Raum bedroht worden war. Er spricht von einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung, bei der jeder Einzelne gefragt ist, um solche Tendenzen zu erkennen und zu benennen. Denn in der virtuellen Welt können sich die Urheber hinter der Anonymität des Netzes verstecken, die Dynamik gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – einst eher ein Nischenphänomen – hat es vom sozialen Mikrokosmos in die offenen Netzwerke geschafft – vom Stammtisch der Dorfkneipe hinaus ins World-Wide-Web.
Mit der Konsequenz, dass die Resonanzen weitaus heftiger ausfallen, weil die verbalen Täter in der Regel schnell eine breite Masse und damit innerhalb der eigenen Meinungsblase auch viel Zustimmung erreichen: nämlich dann, wenn man nur mit der eigenen Haltung konfrontiert wird und nie die Gegenseite hört, sondern immer nur bestätigt wird und die kontroverse Diskussion eines Themas nicht miterlebt.
Umso wichtiger sei das Instrument der Gegenrede (Counterspeech), um sich von Hasstiraden abzugrenzen, heißt es in der Ausstellung, die gemeinsam mit der Jugendbildung Hessen der IB Südwest gGmbH erarbeitet wurde. Dabei haben sich junge Menschen im Alter zwischen 14 und 27 Jahren mit dem Komplex auseinandergesetzt sowie unterschiedliche Counterspeech-Projekte kennengelernt und ausprobiert. 18 Bildtafeln und drei Kurzfilme sowie offene Foren sollen dazu anregen, sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Ein Anliegen, das im Kreis Bergstraße auf breiter Front unterstützt wird. „Jugendliche sind überdurchschnittlich häufig von Hassreden betroffen. Daher ist es wichtig, die Ausstellung an die Schulen zu bringen“, sagt Evdokimos Moisidis von der Fachstelle für Demokratieförderung und phänomenübergreifende Extremismusprävention (DEXT) unter dem Dach des Jugendamts. Durch den pädagogischen Ansatz von Jugendlichen für Jugendliche würde die Zielgruppe direkt und auf Augenhöhe angesprochen.
Auch die Stabstelle Integration unterstützt die Ausstellung. Die Integrationsbeauftragte Viktoriya Ordikhovska und ihr Kollege Vitali Hermann betonen, dass soziale Medien gerade für Migranten eine wichtige Kommunikationsebene sind, um mit ihren Angehörigen in Kontakt zu bleiben. Es gehe darum, auch diese Personen im virtuellen Raum vor verbaler Gewalt und Bedrohungen zu schützen.
Auch das Land Hessen hat „Hate Speech“ den Kampf angesagt. Fälle vorurteilsmotivierter Sprach-Kriminalität können einfach und schnell auf der Plattform „hessengegenhetze.de“ gemeldet werden. Die Mitarbeiter der vom Ministerium des Innern und für Sport betriebenen Seite leiten die Hinweise nach deren Bewertung an die zuständigen Stellen weiter. Konkret bewegt sich das Delikt im Spannungsfeld zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und den Normen des Strafrechts. Das heißt: nicht jede Form von Hassrede ist tatsächlich strafbar. Das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit findet seine Grenzen aber in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Die unter dem Begriff „Hate Speech“ zusammengefassten Meinungsäußerungen können daher in vielen Fällen Straftatbestände erfüllen. Etwa, wenn es sich um Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung handelt, oder aber wenn es sich um Nötigung, Bedrohung oder Volksverhetzung handelt.
Sozial- wie Sprachwissenschaftler bestätigen: die Verrohung der Sprache allgemein, aber insbesondere im Internet und sozialen Medien, nimmt zu. In der Gesprächskultur mangelt es an Respekt Anderen gegenüber – und das Netz verbreitet diese verbalen Verletzungen in kürzester Zeit. Darüber hinaus kann Cyber-Mobbing der Zündfunke für eine physische Radikalisierung sein, denn Sprache drückt bereits eine Haltung aus, der im schlimmsten Fall auch Taten folgen. Eine gesellschaftliche Bewusstseinsbildung ist der erste Schritt, um für das Thema zu sensibilisieren. Die Wanderausstellung folgt diesem Anspruch. Damit Worte nicht zu Waffen werden.