Kleines Molekül steuert den Lungenkrebs
Forschungsgruppe der TU Darmstadt entschlüsselt Mechanismus der Tumorkommunikation
Darmstadt, November 2021 (meli), Damit ein Tumor wachsen kann, müssen seine Zellen miteinander kommunizieren. Stört man die Kommunikation, kann dies den Tumor bekämpfen helfen. Die Arbeitsgruppe von Dr. Meike Saul an der Technischen Universität Darmstadt hat einen Mechanismus entdeckt, der maßgeblich zur zellulären Kommunikation im Tumor beiträgt. Die Entdeckung könnte zum Grundstein für innovative Therapieoptionen bei Lungenkrebs werden. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in der hochrangigen internationalen Fachzeitschrift „Journal of Extracellular Vesicles“ publiziert.
Das Funktionieren eines mehrzelligen Organismus erfordert die genaue Koordination aller beteiligten Zellen – in gesundem Gewebe ebenso wie in Tumoren. Die Kommunikation zwischen den Zellen ist dabei von wesentlicher Bedeutung und erfolgt über direkten zellulären Kontakt oder über Botenstoffe. Neueste Studien zeigen zudem, dass Zellen kleine extrazelluläre Vesikel, sogenannte Exosome mit einer Größe von 50 bis 200 Nanometern, in die Umgebung abgegeben, die wesentlich zur zellulären Kommunikation beitragen.
Lange Zeit wurde diesen Vesikeln wenig biologische Bedeutung beigemessen. Man ging davon aus, dass die Zellen damit überflüssige Moleküle entsorgen. Mittlerweile weiß man von der fundamentalen Bedeutung dieser Vesikel für die Regulation verschiedener physiologischer Prozesse und Krankheiten wie beispielsweise Krebs.
Bei der Kommunikation innerhalb der Zelle spielen besonders die in Exosomen enthaltenen mikroRNA (miRNA) eine wichtige Rolle. MikroRNA sind kleine Ribonukleinsäure-Moleküle, die eine zentrale Rolle bei der Regulation der Genexpression und der zellulären Proteinsynthese spielen.
Die Arbeitsgruppe um Dr. Meike Saul, Fachbereich Biologie der Technischen Universität Darmstadt, untersucht die physiologische Funktion von solchen exosomalen miRNA und konnte zuletzt mit ihren Untersuchungen zum Lungenkrebs einen großen Erfolg erzielen. Lungenkrebs ist weltweit die führende Ursache für krebsbedingte Todesfälle. Das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (non small cell lung cancer, NSCLC) ist dabei die häufigste Form des Lungenkarzinoms und macht etwa 80 Prozent aller Fälle aus.
Es ist bekannt, dass die meisten Fälle von nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom mit einer Überexpression des pro-inflammatorischen Lipidmediators Prostaglandin E2 (PGE2) einhergehen, der das Tumorwachstum stark fördert. Das Ausmaß, in dem entzündungs- und tumorfördernde Lipidmediatoren die Kommunikation per Exosom zwischen Zellen beeinflussen, wurde bisher noch nicht untersucht. In ihrer Studie hat Saul mit ihren wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Dr. Julia Donzelli und Eva Pröstler gemeinsam mit weiteren Forschenden der TU Darmstadt, der Universität Gießen und des Karolinska Institutet (Stockholm/Schweden) zum ersten Mal zeigen können, dass PGE2 die exosomale Sekretion der mikroRNA miR-574-5p aus Lungenkrebszellen signifikant steigert.
Das Team fand zudem heraus, dass diese miR-574-5p, die im Exosom transportiert wird, einen Immunrezeptor aktiviert, wodurch der PGE2-Spiegel sinkt. Innerhalb der Zelle dagegen stößt miR-574-5p die PGE2-Biosynthese an. Die Studie zeigte: Eine Kombination aus intrazellulärer und exosomaler miR-574-5p steuert den PGE2-Spiegel über eine Rückkopplungsschleife. So lässt sich möglicherweise auch das Tumorwachstum beeinflussen.
Beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom werden verschiedene Subtypen unterschieden. Bei einem der häufigsten Typen, dem Adenokarzinom, konnte ein Einfluss der exosomalen miR-574-5p auf die PGE2-Biosynthese beobachtet werden. Das Forschungsteam um Saul führt dies auf die einzigartige Zusammensetzung unterschiedlicher Proteine auf der exosomalen Oberfläche zurück.
Mit dieser Studie konnten Saul und ihre Kolleginnen erstmalig zeigen, dass die Funktion einer miRNA innerhalb der Zelle gegensätzlich zu ihrer Funktion im Exosom sein kann. Abhängig vom Aufnahmemechanismus kann eine exosomale miRNA an unterschiedlichen Stellen innerhalb einer Zelle freigesetzt werden, was die Funktion der miRNA entscheidend beeinflussen kann.
Dieser neu entdeckte Zusammenhang zwischen miR-574-5p und PGE2 eröffnet eine neue therapeutische Möglichkeit für Lungenkrebs. „Die Ergebnisse geben die Grundlage für die Entwicklung innovativer und personalisierter Therapieansätze“, so Saul. „Die Kombination von Standard-Krebstherapien mit Inhibitoren der PGE2-Synthese stellt eine vielversprechende Behandlungsstrategie dar.“ Zu den bekannten PGE2-Hemmern gehören zum Beispiel nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). „Leider konnte die tumorhemmende Wirkung von PGE2-Inhibitoren nicht bei allen Tumorpatienten und -patientinnen beobachtet werden“, sagt Saul. Dies sei auf die individuelle PGE2-Syntheserate der Erkrankten zurückzuführen. Ziel ist es daher, einen Biomarker zu finden, der Patientinnen und Patienten identifiziert, die von der Gabe von PGE2-Inhibitoren profitieren könnten (Stratifizierungsmarker).
„Die miR-574-5p kann als Tumor- und Stratifikationsmarker dienen, um Lungentumorpatientinnen und -patienten auszuwählen, die auf die pharmakologische Hemmung der PGE2-Biosynthese ansprechen. Wir führen zurzeit eine klinische Studie durch, um unsere Hypothese weiter zu validieren“, sagt Saul.
Die Studie wurde gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie durch die Wilhelm Sander-Stiftung, die das Forschungsprojekt mit rund 200.000 Euro unterstützte. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung.
Die Ergebnisse wurden kürzlich in der hochrangigen internationalen Fachzeitschrift „Journal of Extracellular Vesicles“ publiziert.