Fotogalerien, Gernsheim und Ried

Mit den sehr speziellen Verhaltensweisen der Mitbewohner ihrer Tochter Agnes (Sabrina Florek, mitte sitzend) muss sich Mutter Cecile (Alexandra Sbezzo) bei ihrem Besuch in der offenen Wohngruppe erst noch anfreunden. Foto: soe
12. April 2016 

Macken machen menschlich

Mit dem Schwank „Neurosige Zeiten“ zogen die „Gernsheimer Orgelpfeifen“ alle Register – Schauen Sie sich die Fotogalerie an!

GERNSHEIM, April 2016 (meli), Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – das sportliche Motto hatten sich auch Gernsheims Hobbyakteure zu eigen gemacht. Was 1983 mit dem Aufführen von kleinen Sketchen bei geselligen Zusammenkünften in der evangelischen Gemeinde begann, bekam Kontinuität und entwickelte sich weiter zum Amateurtheater. Einen treffenderen Namen als „Gernsheimer Orgelpfeifen“ hätte man sich kaum wählen können: Das Instrument bekommt seinen eindrucksvollen Klang durch die Harmonie der ganz unterschiedlichen Pfeifen. Diese Einheit in Vielfalt ist das Ideal jedes Ensembles.

Derzeit gehören der Gruppe 39 Theaterbegeisterte an. Durch die Mitgliedschaft in Amateurtheaterverbänden, stehen den Regieführenden auch etliche professionell geleitete Fortbildungen offen, die das nötige Rüstzeug für alle Sparten der Praxis­arbeit vermitteln. Schon das Wort „Amateurtheater“ verweist auf die Liebhaberei als Quelle der Spielfreude. Nichts gibt dem Schaffen mehr Energie als Herzblut. Inzwischen blickt man schon auf eine 33-jährige, bunte und erfolgsgesäumte Tradition zurück. Dieser Chronik kann mit der jüngsten Produktion wahrlich ein weiteres Ruhmesblatt angefügt werden.

Die – wie stets üblich – „demokratische Wahl“ aus fünf in Erwägung gezogenen Stücken traf das von Bärbel Steudter vorgeschlagene. So übernahm sie die verantwortungsvolle Rolle der Regisseurin. „Wenn man ein Stück liest, muss man es schon auf der Bühne vor sich sehen können, eine Ahnung von den Figuren haben“, erklärt sie, denn nur so könne man Schauspieler auch anleiten und etwas „aus ihnen herausholen“, so dass das Stück letztlich „eine runde Sache“ wird.
Dazu bedarf es auch all der technischen Mithelfer, die die vielfältigen Aufgaben hinter und für die Kulissen bewältigen. Maske, Kostüme, Bühnenbau – alles geschieht mit Improvisation, Kreativität und engagierter Eigenleistung. Zu einem konzeptionellen intensiven Wochenende begab sich das Ensemble Anfang Oktober in Klausur. „Das diente vor allem der Rollenfindung“. Der Text von Winnie Abel wurde stark gekürzt, zwei kleine Rollen noch hineingeschrieben, dann starteten die Proben zu „Neurosige Zeiten“.

Im Mittelpunkt steht eine psychiatrische Wohngruppe – paradiesische Möglichkeiten zur darstellerischen Entfaltung. Jeder der Akteure nutzt sie auf geniale Weise. Nichts wirkt dabei grob, überzeichnet und holzschnittartig: Wir erleben Menschen mit Macken, die gelernt haben, sich diese gegenseitig nachzusehen. Mehr noch: jeder ist bereit, die Eigenheit des anderen zu verteidigen und zu schützen vor dem, was als bedrohend „normal“ daher kommt. Die WG Bewohner pflegen tolerant liebevollen Umgang miteinander und zeigen sich solidarisch: Agnes Adolon z.B. ist als übergriffig gewordene Sexsüchtige zwangseingewiesen und gerät in Bedrängnis, als ihre nichts ahnende Mutter ihren Besuch ankündigt. Es entsteht ein Spiel im Spiel, denn alle machen mit beim Versuch der Besucherin die Einrichtung als Agnes Haushalt vorzugaukeln. Missverständnisse, Verwechslungen und jede Menge brenzlige Situationen staffierte Bärbel Steudten mit peppigen Regieeinfällen aus.

Die Zuschauer haben diesen „Käfig voll Narren“ liebgewonnen und genossen das unerwartete Happy End. Die WG wird aufgelöst, aber freiwillig werden alle zusammen bleiben. Man hätte Lust, dabei zu sein… Wer fände nicht eine klitzekleine meschuggene Stelle in sich!

Fotos: Stefan Oelsner
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