Bickenbach

Konzentiert analysierten die Spieler ihre eigenen, und die Züge des Gegenspielers, wie hier Sascha Ifland (li.) vom Schachklub Bickenbach. Foto: soe
10. März 2023 

Reine Kopfsache: Psychologie in Reihenschaltung

138 Teilnehmer beim 13. Fastnachts-Turnier des Bickenbacher Schachklubs

BICKENBACH, März 2023 (tt), Es ist selten der Fall, dass es in einem randvollen Bickenbacher Bürgerhaus so leise ist. An den tollen Tagen erst recht nicht. Doch diese Fastnachtsveranstaltung hat mit Schunkeln und Tanzen nichts zu tun. An den in Reihe platzierten Brettern herrscht an diesem Samstag stille Konzentration. Ohne Helau und Alaaf. Es geht nicht um Prinzen und Jungfrauen, sondern um die Königsdisziplin. Bauern spielen aber auch eine Rolle.

Der klassische Eröffnungszug begann zwar nicht pünktlich um 13.11 Uhr, dem einzig närrischen Faktor dieses Tages. Doch dem 13. Fastnachts-Turnier des Schachklubs Bickenbach hat diese kleine Verspätung nicht die Dramaturgie verhagelt. Mit 138 Teilnehmern von acht bis über 70 Jahre war der Termin in diesem Jahr besonders gut gebucht. Ein neuer Rekord! Kein Wunder nach drei Jahren pandemiebedingter Pause. Die Spieler kamen unter anderem aus Hannover und Mainz, aus Koblenz und Marburg. Vor allem die Region Südhessen war stark vertreten. Insider erkannten viele heimische Größen, darunter auch Großmeister wie Vitaly Kunin aus Mörlenbach oder Leonid Milov aus Nürnberg.

Aber auch Internationale Meister und Fide-Meister waren in Bickenbach vertreten. Titel, die der Weltschachbund FIDE (Fédération Internationale des Échecs) vergibt. Die Orden der Spieler. Was die einen als intellektuelles Armdrücken oder „reine Psychologie“ kommentieren, ist für andere schlichtweg das ewige Spiel der Könige. Ein Mikrokosmos mit 32 Figuren auf 64 Feldern. Hierarchien, Machtstrategien und unendliche Symbolik. Schach, heißt es, ist nicht wie das Leben: Schach ist das Leben. „Das Schachspiel ist wie ein See, in dem eine Mücke baden und ein Elefant ertrinken kann“, so ein indisches Sprichwort. Goethe nannte es einen „Probierstein des Gehirns“. Es ist eine Welt der aggressionslosen Konkurrenz, die auf logisches Denken begründet ist. Ruhig, gewaltlos und intellektuell. Schach bedeutet gewaltfreies geistiges Ringen voller Ideen, Kreativität und Harmonie im Zusammenspiel der Figuren. Es ist es ein Resonanzboden für positive Leidenschaft und Ästhetik.

In Bickenbach ticken die Uhren flotter. Das Turnier wird im schnellen Modus ausgetragen. Mit einer Bedenkzeit von 15 Minuten über neun Runden im Schweizer System. Das heißt: Die erste Runde wird gesetzt, im weiteren Verlauf wird nach jeder Runde der Zwischenstand bestimmt. Dann spielt der erste Spieler der ersten Hälfte gegen den ersten Spieler der zweiten Hälfte, der zweitbeste der ersten Hälfte gegen den zweitbesten der zweiten Hälfte und so weiter. Auf diese Weise treten stets punktgleiche Spieler gegeneinander an. Der Reiz liegt zudem darin, dass beim Turnier nicht nur ein einziger Sieger bestimmt wird, sondern es im Rennen um Platzierungen für jeden Spieler spannend bleibt.

Im Bürgerhaus gab es 350 Euro Preisgeld für den ersten Platz, der beste Jugendspieler nahm 40 Euro mit nach Hause. Durch etliche weitere gestaffelte Preise und Sonderpreise bietet der Klub einen attraktiven Wettbewerb für Spieler aller Altersklassen. Jüngster Teilnehmer war der achtjährige Lokalmatador Harshill Pradeep, der im vergangenen Jahr bei den hessischen U8-Einzelmeisterschaften von sich reden machte. Sein Vereinskollege Medhansh Nain ist ein Jahr älter und hatte in Bad Homburg einen tollen dritten Platz belegt. Der Bickenbacher Nachwuchs ist ohnehin stark. Top-Spieler wie Leon Bär und Finn Bender waren ebenfalls im Teilnehmerfeld vertreten. Die Turnierleitung lag erneut in den Händen von Sören Bender, aus dem Vorstand schauten Michael Kirchmann und Tim Schmöker nach dem rechten und sorgten für einen reibungslosen Ablauf.

Der Klub hat eine über 70-jährige Tradition. Mit Beginn der Pandemie wurden Präsenzveranstaltungen ausgesetzt und Ligen abgebrochen. Jetzt hat sich die Situation auch im Schach wieder normalisiert, die Onlinebegegnungen waren lediglich eine alternative Überbrückung, wie es heißt. Schach lebt vom direkten Gegenüber. „Ich muss den Menschen auf der anderen Seite des Spielfelds sehen, ihn analysieren“, so ein Teilnehmer aus Darmstadt. Auch Bürgermeister Markus Hennemann freute sich über die Rekordbeteiligung. Der Rathauschef ist seit Jahren Schirmherr des Turniers, das auch außerhalb der Region einen hervorragenden Ruf genießt.

Kiebitzen war im Bürgerhaus übrigens nicht verboten. So nennt man das Beobachten von laufenden Partien oder das Zuhören der Analysen nach dem Spiel. Interessierte Beobachter waren herzlich willkommen. Vor allem um Vitaly Kunin von Freibauer Mörlenbach-Birkenau scharten sich die Schach-Fans in Bickenbach: mit acht von neun Punkten ließ er die Konkurrenz – fast erwartungsgemäß – hinter sich. Harshill Pradeep war bester Spieler unter zwölf Jahren, Daniela Iosif-Höllenriegel von der Sges Bensheim 1931 war beste weibliche Teilnehmerin. Herbert Plenio (Sges Bensheim) beendete das Turnier als bester Spieler mit einer Wertung unter DWZ (Deutsche Wertungszahl) von 2000. Leonard Semmler vom SK 1980 Gernsheim war Tagesbester mit einer Wertung unter DWZ 1400. Kunins Clubkollege Michael Schäfer wurde bester Spieler aus dem Schachbezirk Bergstraße. Bester Bickenbacher Spieler war Dr. Hans-Emil Müller auf Gesamtrang 35.