Bickenbach

Einen Besucherrekord mit 89 Teilnehmern konnte der Bickenbacher Schachklub an seinem Fastnachtsturnier verbuchen. Auch 25 Kinder und Jugendliche nahmen teil. Der jüngste Spieler war sechs Jahre alt. Foto: Vera Samstag
03. April 2020 

Wie intellektuelles Armdrücken

Schachklub Bickenbach auf Aufstiegskurs | Starker Jugendkader

BICKENBACH, April 2020 (pes), Das ganze Leben auf 64 Feldern. Fast wie die Wirklichkeit, aber von einer Klarheit und Logik, die Menschen über viele Jahrhunderte fasziniert und herausgefordert hat.

Das Spiel als konzentrierte strategische Weltflucht in eine neutrale spielerische Grammatik. Eine zeitlos unmoderne Droge für helle Geister, die effizientes Denken und intellektuelle Entscheidungen trainiert.


Es ist nicht leise im schmucken Fachwerkhaus an der Ecke Darmstädter Straße und Steingasse. Das erste Klischee ist schon mal futsch. Keine in sich verschanzten Eigenbrötler, die wortlos vor sich hin brüten. Der Nachwuchs tauscht sich aus, lacht, hat erkennbar Spaß. Die Jugend ist das Zukunftskapital des Schachklubs Bickenbach. Von den gut 60 Mitgliedern sind die Hälfte zwischen sechs und 20 Jahre alt. Das Durchschnittsalter beträgt 31 Jahre. Damit entzieht sich der Verein frech jeglichen demografischen Trends.


Im Schachbezirk Bergstraße stellen die Bickenbacher, die politisch zum Kreis Darmstadt-Dieburg gehören, nicht nur die größte, sondern auch die beste Jugendgruppe. In den gestaffelten Altersklassen auf Bezirksebene räumen die Spieler regelmäßig erste Plätze ab.


In dem 1948 gegründeten Club sind Generationen vereint. Die Freude an einem anspruchsvollen Spiel steht im Vordergrund. Regelmäßige Trainings gehören in den Jahreskalender wie offene Turniere und ein vitaler Ligabetrieb mit starken Teams und herausragenden Solisten.

Im Februar fand das 12. Bickenbacher fastnachtsturnier statt – eines der öffentlichen Aushängeschilder des Vereins. Rund 80 Teilnehmer haben sich bei diesem besonderen Schnellschachturnier unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Markus Hennemann gemessen und attraktive Preisgelder mitgenommen.


Die neun Runden wurden nach dem sogenannten Schweizer System ausgetragen. So ist gewährleistet, dass immer aktuell punktgleiche Spieler gegeneinander antreten, so dass es für Teilnehmer aller Spielstärken immer reizvolle Kontrahenten zur Verfügung stehen und sich eine leistungsgerechte Abschlusstabelle ergibt, erläutert der Organisator und Stellvertretende Vorsitzende Tim Schmöker. Ein Lehrer (Mathematik und Physik) mit schwarz-weißem Blut in den Adern – wie viele, die den Club in der Führungsspitze vertreten. Vorsitzender ist seit 2016 Michael Kirchmann, ein Software-Architekt. Jugendleiter Christof Jost kam über seine drei Kinder zum Schach. Er ist für alles Organisatorische verantwortlich. Dazu gehören die Koordination der Schnupper- und Trainingsstunden (immer freitags) ebenso dazu wie die Vorbereitung von Turnierfahrten.


Auf Werbung kann der Club getrost verzichten. Alles läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda. Auch durch die internationale Schule am Schuldorf Bergstraße werden immer wieder junge Talente nach Bickenbach gespült. Besonders aus der begeisterten Schach-Nation Indien kommen viele Nachwuchscracks. In der Schach-Jugendliga im Bezirk Bergstraße hatte Bickenbach im Januar drei Mannschaften in den Wettbewerb geschickt. Die erste Garnitur dominierte die Liga und gewann alle Begegnungen klar.
„Wir wollen die erfolgreiche Jugendarbeit weiter verstetigen“, so Tim Schmöker.

Die große Herausforderung dabei ist nicht allein der Aufbau der jungen Talente, sondern auch die Bemühungen, diese „kleinen Könige“ in den eigenen Reihen zu halten. Deshalb will der Club seinen Eigengewächsen gute Perspektiven anbieten. Ein mit dem Verein eng verbundener Sponsor hilft dabei. Auch durch die Verpflichtung von Anker-Spielern, um Bickenbach als Schach-Terrain für weitere gute Spieler noch attraktiver zu machen.


Dass die Jugendarbeit aufgeht, zeigen viele Biografien. Könner wie Jonas Riemann (15) spielen bereits in der 1. Mannschaft. Das Team steht in der Bezirksoberliga auf dem Sprung in die Landesliga Süd. Auch die 2. und die 3. Mannschaft bewegen sich auf Aufstiegsplätzen in der Bezirksliga. Die vergangenen Jahre waren überaus erfolgreich und haben den Namen des Clubs noch wohlklingender gemacht.


Ein Motivationsschub für den Nachwuchs ist auch das Training mit dem Fide-Meister – etwas tiefer als ein Großmeister – und erfahrenen Bundesligaspieler Christian Schramm, der ebenfalls in der 1. Mannschaft spielt. Auch sein Teamkollege Peter Keller trägt den Ehrentitel „FM“, den der Weltschachbund FIDE (Fédération Internationale des Échecs) auf Lebenszeit verleiht.


„Das ist wie intellektuelles Armdrücken“, sagt Sören Bender aus der 2. Mannschaft. Ein naturwissenschaftlich begeisterter Schüler vom Schuldorf Bergstraße, der sich gerade für den Landeswettbewerb von Jugend forscht qualifiziert hat. Ein echter digital native, der sich auch schon mal mit einem Schachcomputer gemessen und auf internationalen Schachportalen eingeloggt hat. „Den Club ersetzt das alles nicht“, betont er. Online-Züge sind für ihn eine alternative Übungsplattform, die an ein Duell Auge in Auge aber niemals herankämen. „Schach ist reine Psychologie“, meint auch Tim Schmöker. Es gehe darum, den anderen Spieler zu analysieren und seine Züge vorauszusagen.


Bei Turnieren wird grundsätzlich eine gewisse Etikette beachtet. Ein respektvoller Umgang miteinander und ein stilvolles Verlieren (und Gewinnen) gehören dazu. Alkohol und Smartphones haben neben dem Brett nichts verloren. Auch Doping jeder Art ist tabu – und bei Wettkämpfen potenziell strafbar. Im Schach kann durch Doping die Konzentrationsfähigkeit gesteigert, die Müdigkeit unterdrückt und die Motivation durch aufputschende Mittel bedeutend erhöht werden. Koffein und Zucker in normalen Dosen gehören nicht zu den verbotenen Substanzen.

„Die Konzentration sollte nicht einbrechen“, betont Schmöker die Herausforderung während eines Spiels. Vor allem bei ganz jungen Spielern sei häufig zu beobachten, dass sie stark beginnen und dann – altersbedingt – unnötige Fehler machten. Aber wenn der Nachwuchs schon perfekt spielte, wäre der SK Bickenbach um die Hälfte ärmer.


Für den Ernst zu viel Spiel, für das Spiel zu viel Ernst: Schach bleibt faszinierend. Und es kommt immer anders, als man denkt, so Tobias Schmöker. Auch nach über 70 Jahren Vereinsgeschichte ist der Club ein lebendiger und überaus dynamischer Verein. Und noch ganz lange nicht matt.

Weitere Infos unter www.schach-bickenbach.de.