Alsbach-Hähnlein, Was geht?

Fairer Wettbewerb und respektvolles Miteinander in der Sporthalle. Die sportliche Action kam dabei nicht zu kurz. Foto: Thomas Tritsch
29. August 2019 

„Wir wollen keine Schule sein!“

Ferienspiele: In Alsbach drehte sich diesmal alles um eine faire Welt

ALSBACH-HÄHNLEIN, August 2019 (tri), Kein pädagogisch aufgebrezelter Frontalunterricht. Kein erhobener Zeigefinger und kein naserümpfendes Besserwissertum. Bei der Auseinandersetzung mit der Welt geht es darum, Zustände selbstständig zu hinterfragen und einen ganz privaten Denkprozess anzuregen. „Wir wollen keine Schule sein“, betont Herbert Reeg. Kurz Herby gerufen. Seit drei Jahrzehnten wieselflinker Macher der Alsbacher Ferienspiele. Und noch immer voller neuer Ideen.

Es war eine Premiere im Jugendzentrum an der Benno-Elkan-Allee. Erstmals ging es bei dem Angebot der Gemeindeverwaltung um einen völlig neuen Themenkomplex. Unter dem Titel „Faire Kids für eine faire Welt“ erlebten die knapp einhundert Grundschüler im Alter von sechs bis zehn Jahren ein globales Thema aus unterschiedlichen, vor allem regionalen Perspektiven. Ein projektorientiertes Konzept, das bestens zum Selbstverständnis der Ferienspiele passt: Aktivitäten mit Spaß und Köpfchen. Am zweiten Tag wählten sich die Teilnehmer in die verschiedenen Kleingruppen ein. Faires Miteinander, fairer Handel, faire Nachhaltigkeit, faires Spielen.

„Wir möchten die Kinder spielerisch zum Nachdenken und Fragestellen motivieren“, so Herbert Reeg, der sich vom 1. bis 13. Juli auf ein 16-köpfiges junges Betreuerteam verlassen konnte. Drinnen und draußen wurde gebastelt, gekocht, genäht – und aufbereitet. Auf dem Recyclinghof entstanden aus alten Dingen neue Produkte. Verpackungen, Stoffe und anderes, was normalerweise in der Tonne landet, wurden kreativ „upgecyclet“ und so vor dem Müll-Tod gerettet. „Daraus kann man tolle Tüten machen“, so ein Neunjähriger vor einem Häufchen Textilien. Gleich nebenan öffneten die Modemacherinnen Julia, Adriana und Lena ihr Atelier. Aus gewöhnlichen T-Shirts gestalteten die Kinder mit Farbe, Fantasie und Fingerfertigkeit neue Tops mit individueller Note. Hannah zeigt ihr buntes Top. „Ich mag es farbenfroh.“ Beim Arbeiten mit der Kleidung kam aber auch die Frage auf, unter welchen Bedingungen die Billig-Shirts im vermeintlichen Schnäppchenladen eigentlich hergestellt werden.

Wie viel verdient eine Näherin in Asien? Kann sie damit eine Familie ernähren? Und welchen Anteil vom Erlös sackt eigentlich das Unternehmen ein? Die Ferienspielkinder spürten bald, dass viele Menschen für die Ware aus Fernost in Wirklichkeit ziemlich teuer bezahlen müssen. Kurze Film-Clips machten die Themen zusätzlich plastischer. In der Ballwerkstatt konnte man einen Fußball selbst nähen. „Da könnt ihr mal sehen, ob es bei euch genauso flott geht wie bei den Kindern in Pakistan“, so Herbert Reeg. Dort müssen die kleinen Arbeiter mindestens zwei Bälle am Tag produzieren, um überleben zu können. Ein Markenfußball, der mit der Hand genäht wird, kostet in der Herstellung etwa drei Euro. Die Arbeiter verdienen rund 70 Euro im Monat, während jeder einzelne Ball für 100 Euro und mehr an den Endkunden verkauft wird. Einfachen Rechnungen wie diese regten die Mädchen und Jungen an, etwas genauer hinzuschauen. Auch bei Lebensmitteln.

Kinder lieben Schokolade. Aber woher kommen die Kakaobohnen? Und wie fair oder unfair ist der Herstellungsprozess der süßen Tafeln? Beim eigenen Herstellen von Schokocreme und Pudding, beim Schälen der Bohnen und kosten der Rohmasse erläuterten die Betreuer, dass Millionen von Kindern für Schokolade hart schuften müssen.

Die Ausbeutung auf den Plantagen geht weiter – trotz vielerorts verbesserter Bedingungen und höherer Löhne als früher. Die Einkommensschlucht zwischen den Kakaobauern und der Industrie besteht weiter. Die Bauern in den tropischen Regionen erhalten nur gut sechs Prozent davon, was wir für eine Tafel zahlen. „Es gibt Schokolade, die fair gehandelt ist“, erklärte eine Erstklässlerin. Auch, wenn der Anteil derzeit nur vier Prozent beträgt: „Wir essen lieber diese Schokolade, die macht alle glücklich!“

Wie wird der Kuchen aufgeteilt? Wer profitiert, und wem bleiben nur die Krümel? Im Hähnleiner Hofladen Kehr erlebten die Kids einen regionalen Direktvermarkter, der Produkte aus eigenem Anbau und eigener Produktion vertreibt. Keine plastikverpackten Früchte aus Neuseeland, sondern heimische Ware unverfälscht auf die blanke Hand. Im JUZ wurden die Zutaten in schmackhafte Gerichte übersetzt: Gemüsesuppe, Pastasauce und delikates Chilli. Kartoffel schälen, Paprika schneiden und Kräuter zerkleinern. Schon vor dem Essen hatten die Kinder eine Menge Spaß.

Und wer sich keiner Gruppe anschließen mochte, der steuerte auf Janik zu. Er leitete das freie Spiel auf dem JUZ-Gelände. An drei Tagen fanden in der kleinen Sporthalle am Rande des Areals spezielle „Kampfesspiele“ für Jungen statt. Im Vordergrund standen auch hier fairer Wettbewerb, ein respektvolles Miteinander und ein höflicher Umgang.

Leiter Thomas Näther scheuchte die Kinder durch die Halle und koordinierte Übungen, die dabei helfen sollen, Selbstvertrauen zu gewinnen und mit seinen Kräften und Aggressionen vernünftig umzugehen. Für Mädchen organisierten die Ferienspiele einen WENDO-Kurs. Bei diesem Präventionsprogramm gegen Gewalt geht es um Selbstbehauptung und Selbstsicherheit.

Papier schöpfen und Tücher nähen, Nudeln kochen oder Ballspielen: Herbert Reeg freute sich über die rege Teilnahme an den Ferienspielen, die am 13. Juli mit einem großen Abschlussfest mit Eltern und Verwandten ins Finale gingen. Die Kinder- und Jugendförderung dankt der Gemeinde auch für die finanzielle Unterstützung dieses besonderen Angebots, dass in dieser Qualität und stimmigen Konzeption nach wie vor Maßstäbe setzt.