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Draußen bei schönem Wetter am langen Tisch wurde im Innenhof vom „Stammpersonal“ kollektiv entkernt, entweder mit Knippchen oder handbetriebener Entkern-„Maschine“. Foto: Eva Wicht
10. Oktober 2025 

Workout am Kupferkessel

ZWINGENBERG, Oktober 2025 (ohl), Man nehme… drei Zutaten: hochwertiges Rohmaterial, traditionelle Kittelschürze und ganz viel gute Laune. Der schmucke Innenhof des Zwingenberger Heimatmuseums war wieder einmal die ideale Bühne für das alljährliche Latwerge-Kochen beim örtlichen Geschichtsverein. Rund drei Zentner Zwetschgen vom Reinheimer in Allmendfeld standen in Stiegen bereit, um von fleißigen Damen entkernt und eingekocht zu werden. Zehn Frauen waren gekommen. Die meisten gehören zum Stammpersonal. Quoten-Herren gab es nicht. Dabei hatte der Verein im Vorfeld ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jede helfende Hand – gleich welchen Geschlechts – herzlich begrüßt werden würde.

Die Vorsitzende Ingrid Krimmelbein schätzte während des zweitägigen Treffens Anfang September, dass bei der Aktion etwa 200 große und rund 100 kleine Gläser gefüllt wurden. Verkauft wurden sie am 14. September beim „Tag der offenen Tür“ des Museums, dem der Erlös der kulinarischen Kunst zugute kommt, die in und um Zwingenberg jedes Jahr auf großes Interesse stößt. „Jedes Mal bilden sich lange Schlangen vor der Museumstür“, so die Vorsitzende beim Entkernen der Zwetschgen. Gleichzeitig wurde der Ofen angeheizt und sofort damit angefangen die Zwetschgen vorsichtig zu rühren.

Am Kupferkessel sind Muckis und Ausdauer gefragt – und auch Erfahrung kann nicht schaden. All dies brachten die Damen zur Genüge mit. Nach der Ouvertüre am Freitag wurde am Samstag um 9.00 Uhr weitergerührt, bis am Nachmittag die Latwerge abgeschmeckt und abgefüllt wurde. Draußen bei schönem Wetter am langen Tisch wurde kollektiv entkernt, entweder mit Knippchen oder handbetriebener Entkern-„Maschine“. Die Arbeit gelingt am schnellsten, wenn viele Hände gut zusammenarbeiten. In zwei Stunden waren dir Kerne der kompletten Charge entfernt. Die Teilnehmer haben übrigens ein Vorkaufsrecht auf die Latwerge. Konkret: jeweils zwei kleine und zwei große Gläser.

Im Kessel wurden die Früchte erhitzt. Zwetschgen, oder Quetsche, sind eine Unterart der Pflaume. Ingrid Krimmelbein berichtete, dass sie im zweiten Jahr nach Übernahme des Events von den hiesigen Landfrauen ganz allein im Duett mit Uli Fischer zwei Tage lang gerührt hat. „Da hat noch keiner geholfen“, sagt sie. Das Ergebnis: außer Latwerge ein ausgewachsener Muskelkater und kernige Schulterschmerzen.

„Das Rühren ist anstrengend, denn es muss immer kräftig über die Mitte des Kessels gerührt werden, damit die Zwetschgen nicht anbrennen, weil ja auch der braune Kandiszucker bereits drinnen ist“, so Ingrid Krimmelbein, während sie den klobigen Riesenkochlöffel im Kupferkessel schwingt. Der war damals ein Geschenk der Landfrauen. Genau wie die vielen Schüsseln in allen Farben. Und ganz wichtig: das spezielle Gewürz aus der Apotheke, das natürlich nicht fehlen darf. Das stark eingekochte Zwetschgenmus wurde als Zubereitung, regional leicht variiert, von dick-zähflüssiger Konsistenz bereits als haltbare Arzneiform in der Medizin des Mittelalters verwendet. Erwähnt wird es unter anderem auch im Lorscher Arzneibuch um das Jahr 795.

In diesem Jahr wurde das schmackhafte Treffen zudem von einer aromatischen Aktion der besonderen Art garniert: die lokale Künstlerin Ulrike Fried-Heufel ließ sich spontan inspirieren, ein Kunstwerk aus Zwetschenkernen und kleinen Zwetschgen zu schaffen. Sie dachte dabei auch an den italienischen Künstler Giusseppe Arcimboldo, der im 16. Jahrhundert mit Naturmaterialien aussagekräftige und symbolträchtige Portraits schuf, die auf die Vergänglichkeit hinweisen. Assoziative Bilder, kunstvoll arrangiert aus Blumen, Früchten oder Fischen sowie anderen organischen und anorganischen Zutaten.

Mit dem Thema Vergänglichkeit sollten sich auch die Zwingenberger Zwetschgen auseinandersetzen. Denn ein langes Leben wird ihnen, auch in neuer Konsistenz, nicht vergönnt sein. Die ersten endeten bereits im Museumshof als elegant-süßer Aufstrich auf einem leckeren Butterbrot von Bäcker Germann. Gute Nachricht zum Schluss: alles wird teurer, doch die Latwergepreise bleiben wohl vorerst stabil.