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Neben lokaler Lebensqualität serviert das Cittaslow-Buch auch regionale Esskultur. Foto: soe
31. März 2024 

„Rezepte für eine lebenswerte Stadt“: Kommunale Spezialitäten als sinnlicher Genuss

Cittaslow-Stadt Zwingenberg: Kulinarische Buchvorstellung der Stadtbücherei in „Kaltwassers Wohnzimmer“

ZWINGENBERG, März 2024 (tt), Seit Anfang 2017 ist Zwingenberg Teil des deutschen Netzwerks von Cittaslow. Im vergangenen Jahr war die Stadt an einem Projekt beteiligt, in dem sich 23 der inzwischen 25 Mitgliedsorte auf eine besondere Art und Weise präsentieren: im Reiseführer-Bildband „Rezepte für eine lebenswerte Stadt“ präsentieren sich Städte und Gemeinden von der Nordseeküste bis zum Bodensee.

Neben kurzen Porträts lernt der Leser spannende Projekte kennen, die das Gemeinwohl fördern und Nachhaltigkeit im besten Sinne vorleben. Neben lokaler Lebensqualität serviert das Buch aber auch regionale Esskultur aus kurzer Distanz: für das Kapitel Zwingenberg hat Koch Marc-André Kaltwasser mit seinem Restaurant „Kaltwassers Wohnzimmer“ ein raffiniertes Spargelgericht gezaubert.

Kaltwasser stand auch mit auf dem Podium bei der Frankfurter Buchmesse, wo das Cittaslow-Buch von einer kleinen Delegation vorgestellt wurde. Darunter der Zwingenberger Bürgermeister Holger Habich und sein Deidesheimer Amtskolleg Manfred Dörr, der wie Anke Cornelius-Heide (Meldorf) zum Cittaslow-Vorstand gehört. Verlagsleiterin Annette Sievers führte ein Gespräch mit den Protagonisten, bei dem nicht nur die Ziele der Cittaslow-Kommunen beleuchtet wurden, sondern auch die Aspekte, warum diese ideal mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (UN) harmonieren. Zur Freude der Messebesucher hatte Kaltwasser kleine herbstliche Schmankerl mitgebracht, die vor Ort verkostet werden konnten.

Das internationale Cittaslow-Netzwerk wurde 1999 in Italien gegründet und ist angelehnt an die Slow-Food-Bewegung, geht jedoch noch einen Schritt weiter, indem es aktiv nachhaltiges Leben und Wirtschaften in Städten fördert. Im Zeichen der Weinbergschnecke haben sich Kommunen zusammengeschlossen, um gemeinsam für eine vielfältige und behutsame Stadtentwicklung einzutreten. Sie orientieren sich an den 17 offiziellen SDG-Zielen der Vereinten Nationen und haben strenge Kriterien entwickelt, die soziale Integration, örtliches Handwerk, Bio-Landwirtschaft und Gastronomie abdecken. Die Cittaslow-Städte verstehen sich als lebenswerte Orte und attraktive Reiseziele.

Das Buch präsentiert nicht nur die individuelle Schönheit der Städte, sondern begleitet den Leser in die Nischen, in denen das Cittaslow-Selbstverständnis gelebt wird. Etwa durch eine moderne, aber historisch sensible Stadtentwicklung, durch Maßnahmen für Biodiversität oder Inklusion sowie Beispiele für eine ökologische Stadtpolitik oder der Förderung von altem Handwerk.

Immer wieder geht es um Entschleunigung und menschliche Begegnung, um Kommunikation und kulturelle Spezialitäten im Wandel der Zeit. Zwingenberg präsentiert sich als kulturell lebendiges Städtchen in malerischer Landschaft mit einem hohen Bewusstsein für eine harmonische und behutsame Stadtentwicklung, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Prämissen folgt. Im Januar fand bei Kaltwasser eine kulinarische Buchvorstellung der Stadtbücherei statt, bei denen der Gastgeber ein Dreigänge-Menü serviert hat. Das Interesse war beachtlich.

Mit dabei waren auch die beiden promovierten Biologinnen Esther Gabor und Alice Kleber. Die Wissenschaftlerinnen des ortsansässigen Forschungsunternehmens Brain Biotech AG beschäftigen sich mit der Herstellung eines Getränks aus Weinblättern, das im Buch näher erläutert wird. Bei den Zwingenberger Abendmärkten im kommenden Jahr soll der „Vinot“ verkostet werden können. Heimat des Getränks ist das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Industriegebäude der Firma Fissan, in dem heute Brain residiert.

„Wir geben uns nicht länger damit zufrieden, dass die als gesichtslose Ballungsgebiete gebauten Städte, sich alle ähneln und es keine Rolle mehr spielt, in welcher wir leben. Heute entdecken wir wieder die Bedeutung historischer Stadtkerne, restaurierter kulturhistorischer Orte und Gebäude, greifen wieder auf heimische Produkte zurück und lernen, unsere sozialen Beziehungen neu zu gestalten.“ So hat Stefano Cimmicchi, Bürgermeister der umbrischen Stadt Orvieto und einer der Mitbegründer von Cittaslow, das Bewusstsein des Netzwerkes in Italien einst beschrieben. Auslöser war die Sorge um den Verlust der Esskultur als eine Reaktion darauf, dass damals in Rom an der berühmten Spanischen Treppe ein Fastfood-Restaurant entstanden war.

Die Grundidee von Cittaslow stammt von Paolo Saturini, Bürgermeister des toskanischen Ortes Greve, und wurde gegenüber der Ernährungs-Orientierung von Slow Food um eine ganze Reihe von Elementen erweitert. Weltweit gehören dem Netzwerk mehr als 240 Partner in 30 Ländern an. Zwingenberg ist neben Michelstadt im Odenwaldkreis (seit 2018) die einzige Cittaslow-Kommune aus unserer Region.

Zwingenberg hatte sich nach einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung im Dezember 2016 Anfang des folgenden Jahres für den Beitritt in das Netzwerk beworben. Ziel war unter anderem, die Lebensqualität der ältesten Stadt an der Hessischen Bergstraße weiterhin zu steigern und das Bewusstsein für die regionale Identität zu fördern.

Kurz nach der Aufnahme wurde zunächst eine Cittaslow-Kommission mit verschiedenen Arbeitsgruppen formiert. Später wurde daraus ein offener Arbeitskreis. Er tagt regelmäßig, organisiert Projekte und begleitet die Entwicklung der Stadt auf unterschiedlichen Ebenen.